Herr Töpfer, alte weiße Männer sind ein politischer Kampfbegriff geworden. Sie haben es geschafft, mit 81 Jahren noch quer durch die Generationen gehört zu werden. Wie geht das?
Interview Klaus Töpfer: „Mach das, von dem du jetzt überzeugt bist“
Höxter · Ex-Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) über die Proteste der Jugend, sein Verhältnis zur Hoffnungslosigkeit und den NRW-Staatspreis, den er in der nächsten Woche in Bonn verliehen bekommt.
Irgendwie passt das. Die Fahrt nach Höxter führt durch den gigantischen Windpark Asseln auf der Paderborner Hochfläche. Klaus Töpfer öffnet selbst die Tür zu dem bescheidenen Doppelhaus in Hanglage, das Handy noch am Ohr. Ein ehemaliger französischer Minister will ihn gerade wieder für ein Projekt gewinnen. An der Wohnzimmertür hängt noch ein Geburtstagsgruß der Enkel zum 81. Geburtstag am 29. Juli. „Seit vier Jahren verspreche ich meiner Frau, dass ich jetzt aufhöre“, sagt der Grandseigneur der Umweltpolitik, nachdem er aufgelegt hat. „Aber sie sieht auch ein, dass es immer wieder Gründe gibt, es doch nicht zu tun.“
Klaus Töpfer: Indem man es sich nicht vornimmt. Und es hat damit zu tun, dass die Umweltfrage, die ich mein politisches Leben lang bearbeitet habe, gerade eine enorme Konjunktur hat und die Partei, der ich als Mitglied verbunden bin, sich eine solche Konjunktur nicht vorstellen konnte. Darum gibt es in der CDU wenige Gesichter, die man mit dieser Aufgabe verbindet. Ich habe ja nicht mal dies und mal das gemacht, sondern war immer Umwelt, auch als Bauminister.
Greta Thunberg könnte Ihre Enkelin sein. Wenn Sie ihr einen Rat geben sollten, welcher wäre das?
Töpfer: Ratschläge sind auch Schläge. Jeder muss seine Vorstellungen entwickeln – und hoffentlich sind es ihre. Das wäre vielleicht mein Rat. Es ist immer wieder ein Problem, wie sehr sich ein Thema irgendwann von dem Namensgeber löst, der damit verbunden ist.
Können Sie die Wut der Jugend auf Ihre und die Nachfolgegeneration nachvollziehen?
Töpfer: Nachvollziehen kann man das natürlich. Aber mich beruhigt überhaupt nicht, wenn etwas mit Wut gemacht wird. Und auch nicht, wenn etwas ganz kurzfristig gemacht wird. Mit dem, was wir jetzt tun, produzieren wir möglicherweise die Wut der übernächsten Generation, die dann das, was wir jetzt noch nicht sehen, wieder zu bewältigen hat. Auch wir hatten eine Wut auf unsere Vorgängergeneration, weil sie einen Weltkrieg hinter sich gebracht hat mit dramatischen Zerstörungen und Millionen Toten. Bei der Atomkraft war es genauso. Daher nehme ich die heutige Wut mit großem Verständnis zur Kenntnis. Aber man sollte nicht handeln, weil andere wütend sind, sondern weil man nachgedacht hat über das, was andere wütend gemacht hat, und dann mit Verantwortung handelt. Ich möchte nicht den starken Mann, der basta sagt.
Jugendliche pochen sehr auf glaubwürdiges individuelles Handeln. Sie haben davor gewarnt, Verantwortung zu individualisieren. Was meinen Sie damit?
Töpfer: In anderen Fällen setzen wir ordnungspolitische Rahmen. Das vermisse ich im Umweltbereich an vielen Stellen. Wir wollen mit Marktmechanismen korrigieren, was der Markt gerade falschgemacht hat. Das Engagement der jungen Menschen ist eine gute Entscheidungsbegleitung, aber es ist nicht die Entscheidung selbst.
Seit Bernhard Vogel Sie 1978 als Umweltstaatssekretär nach Rheinland-Pfalz geholt hat, kämpfen Sie für das, was Sie lieber Schöpfung als Umwelt nennen. Wie erträgt man es, Dinge seit Jahrzehnten als notwendig zu erkennen, die sich nur sehr zäh oder gar nicht umsetzen lassen?
Töpfer: Um der Resignation abzuschwören: Als ich geboren wurde, gab es auf der Welt 2,6 Milliarden Menschen. Jetzt gibt es 7,4 Milliarden. Dass sich schon allein aus dieser Zahl immer wieder Veränderungen ergeben, ist doch klar. Und dass diese Menschen alle darauf drängen, ein menschenwürdiges Leben zu führen, auch. Die Frage ist: Wie gehen wir damit um? Da kann man doch nicht resignieren, da muss man doch Lösungen suchen, wissend, dass diese Lösungen immer suboptimal sein werden. Aber sie sind Wege dahin. In der frühen Industrialisierung hat man aus den Flüssen Kloaken gemacht. Und heute gibt es wieder Fische dort und man kann schwimmen gehen, nicht nur der Töpfer im Neoprenanzug. Ich war immer der Meinung: Mach das, von dem du jetzt überzeugt bist, dass es eine Alternative zu dem ist, was bisher war.
Als den bisher wichtigsten Beitrag Deutschlands zur Klimapolitik sieht Töpfer die Milliarden-Investitionen in die Solarenergie, die dadurch enorm verbilligt wurde. „Jetzt ist das eine globalisierungsfähige Technik.“
Sind wir beim Klimawandel nicht so spät dran, dass es zu spät ist?
Töpfer: Wir sind sehr spät dran, das ist sicher richtig. Aber wer ist eigentlich „Wir“? Das Neue am Klimawandel ist ja, dass er keine regionalisierbare, sondern eine globale Gefahr ist. Eine Tonne CO2 in den USA ist für das Klima dasselbe wie eine Tonne aus Deutschland oder Papua Neuguinea.Darum heißt es schnell: Aha, der verweist auf das Globale, weil er zu Hause nichts machen will. Das ist diese Ablasshandeldiskussion, die wir bei den Kompensationsmaßnahmen haben. Dabei dreht sich auch ein Teil des Pariser Klimaschutzabkommens um Kompensation. Wenn Bosch bilanziell klimaneutral wird, dann geht das heute nur über Kompensation. Aufforstung in Brasilien kompensiert unsere in kurzer Zeit noch nicht zu beseitigenden Emissionen. Dabei Doppelzählungen zu vermeiden, ist dann eine eher bürokratische Aufgabe.
Wie viel Klaus Töpfer steckt in den Klimaschutzvorschlägen von Annegret Kramp-Karrenbauer?
Töpfer (schmunzelt): Da stecken nur Kramp-Karrenbauer-Vorstellungen drin. Ich kenne sie seit vielen Jahren. AKK ist meine Nachfolgerin im Bundestag geworden. Und wir haben immer engen Kontakt gehabt, was im Saarland fast schon genetisch festgelegt ist. Und natürlich haben wir uns darüber unterhalten.
Wenn Sie heute jung wären, würden Sie dann Mitglied der Grünen werden?
Töpfer: Nein, und das sage ich nicht aus Loyalität heraus. Ich bin ein perspektivischer Konservativer. Ich bin in dieser Partei, weil ich glaube, dass die Erhaltung der Schöpfung ein Grundauftrag ist, den wir als Menschen zu erfüllen haben. Und ich mache das auch aus hohem Respekt vor den darin angelegten Wertestrukturen. Nicht, dass ich der Vorbildkatholik wäre. Aber im Paulusbrief an die Römer heißt es, die gesamte Schöpfung harrt der Erlösung. Und wir haben Verantwortung dafür. Insofern belastet mich, dass meine Partei diese Frage bisher nicht so aufgegriffen hat.
Erkennen Sie in den gesammelten klimapolitischen Interventionen dieses Sommers quer durch die Parteien ein ernsthaftes politisches Umdenken?
Töpfer: Ohne die Positionierungen in der Bevölkerung wäre eine solche Bewegung sicher nicht entstanden. Aber langsam wächst auch in meiner Partei die Erkenntnis: Es geht nicht um ein schnelles Klimapapier, sondern um eine Haltung, die den eigenen Überzeugungen und Werten entspricht.
Was muss das Klimaschutzgesetz leisten, das im Herbst beschlossen werden soll?
Töpfer: Es muss sicherstellen, dass die Ziele, die man sich setzt, auch einklagbar sind.
Im Grunde sind die Erwartungen an den Klimagipfel in New York ähnlich: Wir haben Paris, aber jetzt muss klarwerden, wie wir die Ziele umsetzen wollen. Wie hoffnungsfroh sind Sie in dieser Frage?
Töpfer: Der Konkretisierungsgrad wird unsere Hoffnungen wahrscheinlich nicht erreichen. Wir befinden uns in einer massiven Krise des Multilateralismus. Aber ich drücke alle Daumen, dass ich falsch liege.
Wie viel gesellschaftlichen Sprengstoff birgt der Klimaschutz, wenn es an die konkrete Umsetzung geht?
Töpfer: Die Bürger haben Vertrauen verloren. Und Vertrauen wiederzugewinnen, ist ein schwerer Prozess, der untrennbar verbunden ist mit fast schon wehtuender Transparenz. Das gilt auch für die CDU: Sie muss Vertrauen wiedergewinnen bei denen, die sich mit Umwelt beschäftigen, dass sie es ernst meint.
Was hat Sie geritten, in Ihrem Alter noch den Vorsitz des Nationalen Begleitgremiums für die Suche nach einem atomaren Endlager zu übernehmen?
Töpfer: Ich habe als Minister gesagt, wir können die Kernenergie verantworten, und ich bin auch heute noch der Meinung, dass wir das unter dem Aspekt der Sicherheit verantwortlich betrieben haben. Aber jetzt kann ich mich auch nicht vor den Folgen wegducken. Es beunruhigt mich ein bisschen, dass wir von denen, die einst mit großem Nachdruck die Kernenergie vertreten haben, in diesem Bereich niemanden mehr sehen. Andererseits merke ich an mir, dass ich auch nur Lösungen aus der Kenntnis des Vergangenen suche. Insofern wäre es falsche Eitelkeit zu glauben, man sei nicht verzichtbar.
Klaus Töpfer ist ein Flüchtlingskind. Als er sechs Jahre alt war, wurde die Familie aus Schlesien vertrieben und baute sich in Höxter im Weserbergland ein neues Leben auf. Von den 21 Schülern seiner Abiturklasse lebt er heute als Einziger noch hier. 2011 machte die Stadt ihn zum Ehrenbürger. Dass er an den Ort seiner Jugend zurückgekehrt ist, versteht Töpfer auch als „Liebeserklärung an das Kleine, Dezentrale, Überschaubare. Das andere haben wir unser Leben lang genug gehabt.“
Sie leben nach vielen Stationen in Deutschland und Afrika heute wieder in Höxter. Haben Sie das Gefühl, es fehlt in Deutschland noch immer an globalem Problembewusstsein?
Töpfer: Es fehlt zu viel und nicht nur in Deutschland. Wir sind wieder auf einem massiven Rückweg in die Nation hinein. Es gibt zum Teil sehr differenzierte nationale Antworten, die die globalen Fragen nicht mehr behandelbar machen.
Welches Kind hat mehr Anlass zur Hoffnungslosigkeit: ein Kind, das 1938 in den Weltkrieg hineingeboren wird, oder ein Kind, das heute in eine Welt des neuen Nationalbewusstseins und des Klimawandels geboren wird?
Töpfer: Ich habe viele Menschen daran scheitern sehen, die Folgen des Weltkriegs zu bewältigen. Ich glaube deswegen, dass unsere heutige Situation eher zu bewältigen ist, weil wir uns noch in den Dimensionen bewegen, in denen Menschen handeln und etwas verändern können. Als ich geboren wurde, war der Krieg schon Gesetz. Heute ist noch vieles möglich. Natürlich kann man eine Energieversorgung ohne fossile Brennstoffe erreichen. Und man kann sich fragen, ob unser Wohlstand wirklich Wohlstand ist. Das tun junge Menschen heute. In meiner Generation ist das leider nie die Frage gewesen. Wir waren an den Wachstumsraten mehr interessiert als daran, was wir dafür bezahlen. Ich kann auch meinen Kindern und Enkeln nur sagen: Übernehmt Verantwortung. Nicht nur, dass ihr euer eigenes Leben etwas anders organisiert, sondern macht euch verfügbar. Macht Politik mit! Kämpft dagegen, dass die Macht die Politik verlässt, was sie tut, und abgeht an Großkonzerne und Technologien, die wir überhaupt nicht überschauen können. Das ist nicht von Gott gegeben, sondern von Menschen gemacht.
Wenn man die Liste Ihrer Auszeichnungen sieht, kommt locker ein Din-A4-Blatt zusammen. Was bedeutet Ihnen der NRW-Staatspreis, den Sie nächste Woche erhalten?
Töpfer: Er ist für mich eine unglaubliche Unterstreichung, dass man Politik mit Überzeugung und Glaubwürdigkeit machen kann. Ob meine gesellschaftspolitische Arbeit richtig war, entscheidet sich wieder woanders. Nordrhein-Westfalen ist ein Land, das aus der Vielfalt heraus geboren ist. In einem solchen Land diesen Preis zu bekommen, ist dann auch nicht engführend, sondern öffnend. Auch die Liste der Preisträger zeigt das Bemühen, diese Vielfalt in dem Preis widergespiegelt zu sehen.
Freuen Sie sich auf die Laudatio von Angela Merkel?
Töpfer: Ich bin gespannt und freue mich darauf. Angela ist meine Nachfolgerin als Umweltministerin gewesen. Aber ich kenne sie schon, seit sie Pressesprecherin für Lothar de Maizière war. Und es ist ein gutes Stück überraschte Bewunderung dabei, wie sie sich aus dieser Position heraus zu einer wirklich globalen Persönlichkeit verändert hat. Ihr Geschenk zu meinem 80. Geburtstag steht bei uns im Garten: Es ist eine Edelkastanie. Noch trägt sie keine Früchte, aber sicher sehr bald.