Virtual Reality Alte Synagoge kann wieder besichtigt werden

Krefeld · Das 1938 in der Pogromnacht vernichtete Gebäude haben die „Weltenweber“ als 3D-Video neu entstehen lassen.

Die alte Krefelder Synagoge stand an der Ecke Marktstraße/Peterstraße. In der Pogromnacht 1938 ist sie zerstört worden.

Foto: Weltenweber

Auf dem regennassen Pflaster der Petersstraße spiegeln sich die Umrisse der alten Krefelder Synagoge. Ein mächtiger klassizistischer Bau, der mit einer fast 40 Meter hohen Kuppel vor dem Betrachter in den Himmel ragt. Das schmiedeeiserne Tor zum Eingang steht einladend offen. Doch die Synagoge betreten kann man schon seit mehr als 80 Jahren nicht mehr: In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde das prachtvolle Gebäude brutal zerstört. Zumindest virtuell ist der einstige Sitz des Oberrabbiners der gesamten Region jetzt aber wieder begehrbar gemacht worden.

Im Auftrag der Jüdischen Gemeinde Krefeld haben die Tüftler der Firma Weltenweber eine Virtual-Reality-Anwendung entwickelt, die einen „Besuch“ der Synagoge wieder möglich macht. Die Idee dazu hatte der Krefelder Ioannis Georgallis im Oktober 2018, also kurz bevor sich die November-Pogrome zum 80. Mal jährten. Rund 200 Stunden wurden aufgewendet, bis die Entwicklung abgeschlossen werden konnte.

360-Grad-Video ist
auf Youtube zu finden

Mit Virtual-Reality-Anwendung in die alte Synagoge (v.l.): Michael Gilad (Vorsitzender Jüdische Gemeinde Krefeld), Sandra Franz (Leiterin der Villa Merländer), Lukas Kuhlendahl (Weltenweber) und Michael Rotthoff (Kulturstiftung der Sparkasse).

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

„Als Krefelder läuft man am Mahnmal an der Ecke Marktstraße/Peterstraße vorbei und weiß gar nicht, wie es wohl ausgesehen hat, als die Synagoge dort stand.“ So sagt Lukals Kuhlendahl von den Weltenwebern. Das interaktive 360-Grad-Video, das seit wenigen Tagen auf Youtube zu finden ist, ändert dies grundlegend. Denn die Synagoge ist darin von Innen und Außen zu erleben. Michael Gilad, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde Krefeld, hat das Ergebnis erst kürzlich zum ersten Mal gesehen. „Ich war sehr gerührt“, bekennt er.

Die Außenansicht der Synagoge ist von alten, größtenteils schwarz-weißen Fotografien bekannt. Eine davon hängt im Vorraum der neuen Synagoge an der Wiedstraße. Doch wie das zerstörte Sakralgebäude unweit des Neumarktes im Inneren aussah, das musste erst mühsam rekonstruiert werden.

Die drei von Thorn Prikker entworfenen Fenster sind auch im „Nachbau“ zu finden. Rekonstruktionen davon befinden sich in der neuen Synagoge.

Foto: Weltenweber

Den Weltenwebern ist dies in Zusammenarbeit mit der NS-Dokumentationsstelle Villa Merländer und deren Leiterin Sandra Franz sowie dem Krefelder Stadtarchiv gelungen. Dort fanden sich Grundrisse des Gebäudes sowie zwei Skizzen vom Innenraum aus der Hand des Architekten Max Sippel. Die Entwürfe von 1928 dienten zur Erweiterung des Gebäudes, das Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet worden war.

Viele Details zur Einrichtung der Synagoge sind heute nicht mehr bekannt und wurden deshalb in der VR-Rekonstruktion weggelassen.

Foto: Weltenweber

Wie Lukas Kuhlendahl erläutert, reichten besagte Skizzen noch nicht, um den damals mit Marmor ausgekleideten Innenraum wieder lebendig werden zu lassen. Hilfe kam von Michael Gilad, mit dem gemeinsam man die Synagoge realistisch „eingerichtet“ habe. Viele Bereiche bleiben aber bewusst weiß, da man zum Beispiel nicht genau sagen kann, wie die Fenster gestaltet waren.

Eine Ausnahme bilden drei Fenster, die Thorn Prikker, der von 1904 bis 1910 an der Krefelder Handwerker- und Kunstgewerbeschule tätig war, entworfen hatte. Exakte Rekonstruktionen davon sind heute über dem Eingang der neuen Synagoge an der Wiedstraße zu finden, weshalb sie als Vorlage für das Video genommen werden konnten.

Das Gesamtergebnis ist beeindruckend. So spricht Michael Rotthoff, Geschäftsführer der Krefelder Sparkassenstiftung, vom „ungeheueren Frevel“ der Zerstörung und von der „Erhabenheit“ des etwa 500 Menschen fassenden Innenraums, welchen man nur gefühlsmäßig aufnehmen könne – „in einer Mischung aus Trauer und Wut“. Die Stiftung hatte die Finanzierung des Projekts übernommen. „Darüber musste im Kuratorium nicht groß diskutiert werden“, betont Rotthoff.

In dem 360-Grad-Video kann man sich wie in einem Panoramabild umsehen. Es kann am PC, aber auch über die Youtube-App auf dem Smartphone aufgerufen werden. So sei der Einsatz zum Beispiel am Mahnmal, in Museen oder im Geschichtsunterricht möglich. Auch Sandra Franz spricht von einer „wunderbaren Ergänzung“ des in der Villa Merländer vorhandenen Materials, das zum Beispiel aus einem Video mit Interviews von Augenzeugen der Pogromnacht besteht.

Am größten ist die Wirkung des „Rundgangs“ durch die alte Synagoge, wenn man mit Hilfe einer Virtual-Reality-Brille darin eintaucht. Bei der Vorstellung des Videos gab es schon einmal Gelegenheit dazu. Wie Sandra Franz ankündigt, soll es ein entsprechendes Angebot in der zweiten Jahreshälfte auch für Besucher der Villa Merländer geben.

Ihre zusätzliche Anregung, am Mahnmal einen QR-Code anzubringen, über den das Video vor Ort aufgerufen werden kann, wurde von Michael Gilad und Michael Rotthoff mit beifälligem Nicken aufgenommen.