Sicherheit Angriffe auf Beamte: Krefelder Polizeichef fordert mehr Respekt

79 Mal werden Beamte im Jahr 2017 angegriffen, beleidigt oder bedroht. Die Hälfte der Täter stand unter Alkohol- und Drogeneinfluss.

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Krefeld. Nie gab es in Nordrhein-Westfalen mehr Bewerber für eine Ausbildung bei der Polizei. 11200 junge Menschen haben sich 2018 für einen Beruf bei den Ordnungshütern beworben. Dass der Umgangston im Alltag rauer geworden ist, scheint viele nicht abzuschrecken. Dabei sind die Beamten immer öfter auch Angriffen und Beleidigungen ausgesetzt. 2017 verzeichnete die Krefelder Polizei laut einer internen Befragung insgesamt 52 Beleidigungen, 16 Körperverletzungen, sieben gefährliche Körperverletzungen und vier Bedrohungen. Wie gefährlich ist der Beruf für Polizisten in Krefeld geworden? Wie gehen die Beamten mit der Situation um?

Im „Bundeslagebild 2016“, das das Bundeskriminalamt (BKA) im vergangenen Jahr veröffentlicht hat, wird in der Gesamtbewertung ein ernstes Fazit gezogen: Die Indikatoren zeigten ein „gestiegenes Ausmaß der gegen Polizeibeamte gerichteten Gewalthandlungen.“ Für das Jahr registrierte das BKA bundesweit 24 362 Fälle von Widerstandshandlungen gegen die Staatsgewalt, elf Prozent mehr als 2015. Zudem verzeichnete das Bundeskriminalamt für 2016 insgesamt 37 081 Gewalttaten gegen Polizeibeamte, sei es physischer oder verbaler Natur.

Polizeipräsident Rainer Furth nennt für 2017 genauso viele Widerstandshandlungen in Krefeld wie in 2010. Und das, obwohl seine Beamten seit etwa zwei Jahren mit dem Präsenzkonzept Innenstadt noch mehr in die Problembereiche hineingingen und damit die Wahrscheinlichkeit gestiegen sei, dass sie in konfrontative Situationen gelangen könnten — sei es im Umfeld der Wohnungsprostitution, den Milieus mit den Problemimmobilien, beim Gebaren mancher junger Männer in Gruppen. Furth sagt: „Wir hatten 140 Widerstandshandlungen in 2017 — trotz unserer erhöhten Präsenz und vermehrten Aktionen. Das bewerte ich positiv.“

Seit 2008 führt er die Krefelder Polizei. Als Kläger gegenüber der Politik tritt er nicht auf. „Professionelles und konsequentes Einschreiten der Polizei mit ausreichendem Personal scheint der richtige Weg zu sein, um Widerständen und Respektlosigkeiten zu begegnen. Die Polizei hat vieles selbst in der Hand.“

Wolfgang Lindner, Leiter Wache Süd

Wie kommen die Zahlen zustande? Furth: „Wir haben genau analysiert, Widerstand ist nur ein kleiner Teil der Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Thema Gewalt gegen Polizeibeamte genannt werden. Das Deliktfeld ist also umfassender, beginnt mit Respektlosigkeiten und setzt sich fort zum Beispiel mit Beleidigungen, einfachen und gefährlichen Körperverletzungen, Nötigungen und Freiheitsberaubungen.“ In Zahlen: Hat der Respekt gegenüber der Polizei allgemein abgenommen? Vielleicht nicht in den letzten fünf bis zehn Jahren. Aber blickt man mehrere Jahrzehnte zurück wie Wolfgang Lindner, der Leiter der Polizeiwache Süd an der Hansastraße, so fällt eine Veränderung auf: „Es ist heute gravierend anders als noch in den 70er- oder 80er-Jahre. Der respektvolle Umgang hat abgenommen, aber nicht nur gegenüber Polizisten. Früher gab es für uns mal eine Kneipenschlägerei am Wochenende oder Fälle von häuslicher Gewalt. Heute können wir quasi zu jeder Tageszeit in eine körperliche Auseinandersetzung geraten.“

Es gäbe mehr Fälle mit Kranken, Menschen in psychischen Ausnahmesituationen sowie Drogenabhängigen. Lindner sagt auch: „Zudem beobachten wir verstärkt eine Gruppenbildung, zum Beispiel wenn wir jemanden mit zur Wache nehmen. Umherstehende Personen solidarisieren sich, provozieren oder zeigen den Beamten gegenüber offen ihre feindselige Einstellung. In der Häufung hat es das früher nicht gegeben.“

Die mentale Belastung aber habe nicht zugenommen. „Man entwickelt schnell eine Art Hornhaut.“ Junge Polizisten würden nach der Schulung im ersten Streifendienst zwar schnell mal erfahren, wie die Realität aussieht: „Man gerät da mal an Leute, die einen beschimpfen, oder in eine Balgerei um 10 Uhr morgens, bei der man vielleicht auch mal am Boden liegt. Da muss man sich erst mal schütteln.“ Der Wachleiter fügt an: „Ich glaube nicht, dass die Kollegen die alltäglichen Dinge mit nach Hause nehmen. Die Gruppe, in der man arbeitet, stützt. Sie alle kennen das Erlebte.“

Traumatisch könnten sich vielmehr Selbstmord oder Unfallopfer auswirke++n — da, wo man nicht mehr helfen kann. Personen in „psychischen Ausnahmesituationen“ mit und ohne Drogen- und Alkoholeinfluss machen nach Auskunft Furths gut die Hälfte der Gewaltdelikte gegen Polizisten in Krefeld aus, gefolgt von „jungen Männern mit soziokulturell bedingtem Dominanzverhalten, insbesondere in Gegenwart von Gruppenmitgliedern.“

Dunkle Viertel oder Straßen, sogenannte rechtsfreie Räume, seien in Krefeld ein Fremdwort. Lindner: „Das gibt es hier nicht. Wenn eine Straße problematisch ist, meiden wir sie nicht etwa, sondern wir fahren da gezielt und immer wieder hin. Man darf solche Phänomene nicht entstehen lassen.“ Häusliche Gewalt, Randalierer, Schlägereien vor Diskotheken oder Solidarisierungsaktionen, wenn bei Verkehrskontrollen eine Rudelbildung passiert, sind die häufigsten Anlässe für Gewalt gegen die Polizei. Politisch motivierte Straftaten, wie zuletzt beim G20-Gipfel oder im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen, seien dagegen nur marginal in Krefeld anzutreffen.

Der Polizeipräsident spricht bei der Lösung von einer „gesamtgesellschaftlichen Herausforderung.“ Er fordert „Haltung“ ein: „Alle beteiligten Organisationen sind gefragt, Familie, Kindergärten, Schulen, Jugendamt und Justiz, um nur einige zu nennen.“