Berufswelt Auch mit Mitte 30 eine Chance als Lehrling
Die sogenannte Teilzeitausbildung ermöglicht es Eltern oder pflegenden Angehörigen, mit weniger Arbeitsstunden ans Ziel zu kommen.
Krefeld. Zwei außergewöhnliche Auszubildende erlernen derzeit bei Friseurmeister Ulrich Heurs in Oppum ihren Beruf. Die 26-jährige verheiratete Julia Ditzen, Mutter von drei Kindern im Alter von vier, sieben und acht Jahren, absolviert in dem Salon eine Teilzeitausbildung mit 30 Stunden in der Woche. Ebenfalls drei Kinder (zehn, 14 und 16 Jahre) hat die 34 Jahre alte Malika Carauch. Die Alleinerziehende ist im ersten Lehrjahr zur Friseurin.
Vermittelt wurden die beiden Auszubildenden im Rahmen des TEP-Projektes. Die Abkürzung TEP steht für „Teilzeitberufsausbildung“, „Einstieg begleiten“ und „Perspektiven eröffnen“ und wird vom Bildungszentrum Niederrhein (BZNR) der Kreishandwerkerschaft betreut. Nicole Rottes vom BZNR hat die beiden Frauen mit Heurs zusammengebracht.
Seit August 2016 ist Julia Ditzen angehende Friseurin in Teilzeit. Weil sie eine Teilzeit-Einstiegsqualifizierung abgeschlossen hatte, startete sie direkt im zweiten Ausbildungsjahr. Jetzt steht ihre Zwischenprüfung bevor und ihr Chef ist vom Talent seiner Angestellten überzeugt: „Wenn Julia durchfällt, fallen auch alle anderen durch.“ Die 26-Jährige hat erlebt, dass es „unglaublich schwierig ist, ohne Berufsausbildung einen Job zu finden“.
Malika Carauch ist seit April 2015 im TEP-Projekt. Die Deutsche mit marokkanischen Wurzeln war zunächst in einem anderen Salon, wurde jedoch aus innerbetrieblichen Gründen gekündigt. Seit April 2016 ist sie Auszubildende in Vollzeit bei Heurs, kann aber in eine Teilzeitausbildung wechseln, falls sich ihre beruflichen und erzieherischen Aufgaben nicht mehr vereinbaren lassen.
Seit 30 Jahren bildet Ulrich Heurs Lehrlinge aus, seit er vom Vater das Geschäft übernommen hat: „Ich habe immer gute Erfahrungen gemacht, auch mit schulisch und sozial schwierigeren Fällen“, sagt der Mann mit sozialer Ader. „Das funktioniert sehr gut, weil alle mitziehen.“
Die Arbeitszeiten sind mit Rücksicht auf die Mütter weitgehend flexibel gestaltet. Diese wiederum sind privat bestens organisiert. Eine von beiden ist meist da, beide arbeiten gemeinsam an den umsatzstarken Tagen Freitag und Samstag. Beide nutzen die Möglichkeit von Ganztagsangeboten für ihre Kinder in Schule und Kindertagesstätte. Dietzen wird vom Ehemann und vom Schwiegervater unterstützt und darf im Notfall auch ein Kind mit in den Salon bringen. Carauch greift gelegentlich auf externe Hilfe zurück.
Heurs schätzt an seinen beiden Auszubildenden, dass sie wissen, was sie wollen und hinreichend Lebenserfahrung mitbringen. „Jüngere brechen die Ausbildung viel schneller ab, wenn sie auf erste Schwierigkeiten stoßen.“
Nicole Rottes vom Bildungszentrum bestätigt das: „Das sind Frauen, die mit beiden Füßen im Leben stehen.“ Seit 2011 hat sie 30 Teilzeitauszubildende an Betriebe in Krefeld und in den Kreisen Neuss und Viersen vermittelt. „Immer mehr Betriebe reagieren aufgeschlossen“, berichtet sie. „Frauen mit Kindern waren früher für viele Arbeitgeber wie Pest und Cholera“, sagt sie. Gerade größere Unternehmen tun sich damit in der Ausbildung noch immer schwer. „Junge Erwachsene, die ein Kind erziehen, wissen, was Verantwortung bedeutet, verfügen über eine hohe Sozialkompetenz, sind zuverlässig und loyal“, spricht Rottes Unternehmen Mut zu, den gleichen Weg wie Ulrich Heurs zu gehen.
„Davon profitieren Betriebe gerade in Zeiten des Fachkräftemangels“, berichtet Claudia Drink vom BZNR. Sie löst Nicole Rottes ab, die andere Aufgaben übernimmt, und bietet Unternehmen jederzeit Hilfe und Beratung an.