Barbier Auf den Bart gekommen
Ob voll oder über der Oberlippe: Mann hat wieder Mut zur Gesichtsbehaarung. Wie die in Form gebracht und gepflegt werden kann, erklärt einer, der es wissen muss: ein Barbier.
Krefeld. Auf den weichen, dunkelgrünen Lederpolstern ist Warten gar nicht so langweilig. Wer Christopher Prickens Friseursalon in Uerdingen besucht, macht eine kleine Zeitreise zurück in die 50er Jahre. Aus den Boxen knackt die Stimme von Carl Perkins, der seine „Blue Suede Shoes“ besingt, auf der massiven dunklen Holzschrankwand mit zwei großen, darin eingefassten Spiegeln steht eine angestaubte Flasche Hendrick’s Gin. Die abgewetzten, ein bisschen speckig glänzenden Ledersessel davor sind fast zu bequem um wahr zu sein.
Wer darauf Platz nimmt, ist nicht selten männlich, trendbewusst und wegen des „Scumbag Boogies“ hier. Oder sollen es vielleicht doch lieber „Slickback“ oder „Executive Conture“ sein? Kurze Kontur, schnipp, langes Deckhaar, schnapp — das sind die klassischen Herrenschnitte, die Friseurmeister Christopher Pricken seinen männlichen Kunden gerne verpasst. Natürlich mit viel Pomade.
Ist das wirklich wieder modern? Wenn es nach Pricken geht, dann war der Rockabilly-Stil nie out. „Wir arbeiten hier sehr klassisch, geradlinig, im Stil der 50er, 60er Jahre“, sagt der 31-Jährige und zeigt auf die golden gerahmten Schwarz-Weiß-Portraits einiger Schönlinge an der Wand — zweifelsfrei von gestern, aber mit voller Tolle.
Es strotzt nur so vor archaischer Männlichkeit im Laden des Friseurmeisters Pricken, der sich selbst lieber Barbier nennt. „Der Friseur stammt vom Barbier ab. Nur dass beim Barbier früher auch Zähne gezogen oder ein Aderlass gelegt wurden.“ Es gibt aber auch Frauen, die sich davon offenbar nicht abschrecken lassen. „Bei meinen Haaren vertraue ich nur ihm“, sagt die Kundin auf dem Stuhl nebenan, während die Blondierung einwirkt.
Sonst wird in Prickens Barber-Shop aber vor allem zu Rock’ n’ Roll aus dem Internetradio rasiert, gestutzt, gekämmt, geschnitten und gegelt — nicht nur die Haare. Der Bart bekommt hier besondere Aufmerksamkeit. „Der Oberlippenbart ist im Kommen. Und Vollbart ist seit zwei Jahren wieder absolut im Trend“, versichert Pricken — etwa ebenso lange kann er sich vor Bartträgern in seinem Salon kaum retten.
Einer sitzt gerade mit Rasierseife — „natürlich selbstgekocht“ — im Gesicht auf dem Frisierstuhl. „Ich habe sonst immer Drei-Tage-Bart getragen und wollte mal wachsen lassen“, erzählt der junge Mann, der sein haariges Gesicht zwar in der Zeitung zeigen, seinen Namen dann aber doch lieber nicht verraten will. „Jetzt musst du auch was aus dem Bart machen“, erklärt er, warum und wie er auf Prickens Stuhl gelandet ist.
Der macht was ’draus: Mit Schere und Maschine wird da gestutzt und in Form geschnitten, bei der Nassrasur dann die Konturen mit dem Rasiermesser ausgearbeitet. Ja, das kann schon mal blutig werden. Aber: Wer schön sein will, muss eben leiden. Die Reaktionen aus dem weiblichen Umfeld seien es wert, betont der Kunde und grinst verstohlen: „Die sind sehr positiv.“
Also stimmt es, dass ein Mann ohne Bart nicht richtig angezogen ist? „So würde ich das nicht sagen“, lenkt der Barbier ein, aber: „Mit ist einfach mehr Spannung im Gesicht.“ Die Kundin auf dem Nachbarstuhl ist da eher skeptisch. „Das pikst doch“, begründet sie ihre Vorliebe für bartlose Männer. Für den Experten ist das allerdings kein Argument: „Mit Bartshampoo, Balsam, Öl und Pomade kann Mann seinen Bart auch zuhause richtig pflegen, damit er nicht kratzt. „Manche Kunden schwören auch auf Nivea-Creme im Bart“, sagt Pricken. Seine Empfehlung: „Eine Bartbürste ist schon ratsam.“ Der 31-Jährige spricht aus jahrelanger Erfahrung. Seit fünf oder sechs Jahren habe er sich selbst nicht mehr nass rasiert, schätzt er.
Überhaupt kann er nicht verstehen, warum „der Herrenbereich in der Vergangenheit immer so stiefmütterlich behandelt wurde“. Während Frauen hier noch eine klassische Dauer- oder auf Wunsch auch eine handgelegte Wasserwelle bekommen, gibt’s in Prickens Barber-Shop auch Wellness für den Mann. „Towel-Shave“ nennt er das, wenn das Gesicht seiner Kunden vor und nach der Rasur für einige Minuten unter dampfend heißen oder kalten Handtüchern verschwindet.
Zum Schluss noch etwas Rasierwasser ins Gesicht des Kunden — „und bis in drei, vier Wochen“, verabschiedet sich Pricken händeschüttelnd. So lange kann Mann den Bart schon wachsen. Ein letzter Tipp vom Profi? „In dieser Zeit bitte die Finger vom Rasierer lassen.“