Sanierung Aus alt mach älter: Zeitreise am Uerdinger Bahnhof
Uerdingen. · Die Spielfreunde sanieren ihr zukünftiges Vereinsheim weiter – und wollen dabei einige Bausünden aus der langen Geschichte des Gebäudes beseitigen.
Im Eingangsbereich stapeln sich Mörtelsäcke, Dämmmaterial türmt sich daneben auf. In einer Ecke des früheren Wartesaals erster Klasse sitzt Polsterer Willi Wüsten und bezieht schöne, gespendete Holzstühle mit hellbraun-meliertem und abwaschbarem Kunstleder. Die Sanierung des Uerdinger Bahnhofes schreitet in jedem Raum voran. Schon jetzt ist ersichtlich: Die Spielfreunde Uerdingen 1927 werden ihr neues Vereinsheim, das Gebäude von 1899, in seiner ganzen früheren Pracht und in seinem ursprünglichen Charakter aus dem Dornröschenschlaf erwecken. 2021 soll – trotz Corona-Einschränkungen – alles fertig sein.
Der Wartesaal der ersten Klasse wird der zentrale Teil des Gebäudes. Hier ist die Geschichte sichtbar. „Aus der Bleiverglasung in der hohen Decke können wir viel herauslesen“, berichtet Spielfreunde-Vorsitzender Christian Horn mit dem Blick nach hoch oben. „In den Ecken befinden sich die Stadtwappen der Orte, die damals angefahren wurden: Krefeld, Uerdingen, Neuss, Ruhrort, Moers. Außerdem ist eine Abbildung des Heiligen Jakob ersichtlich. Denn die Strecke liegt am Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Das geflügelte Rad in der Mitte ist das Eisenbahnabzeichen.“ Irgendwann ist dort Fensterputzen angesagt. Aber der Vorsitzende weiß: „Über dem Glas ist der Bereich flach und sehr eng.“
Eine Seite nimmt die große hölzerne Theke ein. „Die kennt wohl jeder Uerdinger“, erklärt Horn und lächelt. „Sie stammt aus der früheren Gaststätte Am Wallgarten des verstorbenen Inhabers Rolf Fischer. Hier haben wir Uerdinger Geschichte zusammengeführt.“
Gebäude soll in ursprünglichen Zustand von 1899 versetzt werden
Im ganzen Gebäude wurden Tapeten und Verputz von den Wänden gekratzt und die Klinker sandgestrahlt. „Dann haben wir sie neu verfugt“, berichtet Mario Diedam, neben Markus Buntschuh einer der Bauleiter. „Ebenso wurden die später eingezogenen Zwischendecken entfernt. In einem Gang haben wir eine Gewölbedecke mit Stuck entdeckt und sind dabei, sie zu restaurieren.“
Horn ergänzt: „Wir wollen alles wieder in seinen ursprünglichen Zustand von 1899 zurückführen und so die Bausünden aus 120 Jahren beseitigen.“ Das geschehe in enger Abstimmung mit dem Denkmalamt.
So auch im Eingangsbereich. „Neben der Bauzeichnung der Königlichen Eisenbahndirektion Köln – 1894 war Baubeginn – haben wir auch einen Original-Lieferschein von 1895 der Firma Villeroy und Boch über unsere Bodenfliesen erhalten“, sagt der Chef erfreut und schmunzelt: „Die haben ein gutes Archiv. Die vorhandenen Platten werden nun aufgearbeitet. Leider werden sie nach 120 Jahren nicht mehr hergestellt.“ Denn es seien viele im Bereich der früheren Kassenautomaten zerbrochen. „Was noch ganz ist, wird als Ornament in den Sanitärbereichen neu verlegt.“
In der Eingangshalle wurden bereits Teile der schönen Eichendecke gesäubert. Unter dem Schmutz aus Jahrzehnten tritt eine schöne Holzverzierung hervor. „Der Kronleuchter ist originalgetreu. Wir haben ihn aus dem Duisburger Stellwerk Hof geholt.“
Geradeaus werden die alten halbrunden Durchgänge zu den Bahnsteigen wieder entstehen. Sie führen zu einem Außenbereich, der wie ein Zugabteil gestaltet wird. Diedam: „Wir haben alte Sitze aus einem ICE bekommen. Sie erhalten unser Spielfreunde-Emblem am Kopfteil. Fensterbilder zeigen dort Eiffelturm, Kolosseum oder die Rheinbrücke und symbolisieren die Fahrt durch Europa.“
Von dort gibt es auch einen Zugang in den Wartesaal zweiter Klasse, der weniger prächtig ausgestattet ist. Hier wie überall werden nun Fenster mit Holzrahmen eingesetzt. In den beiden Sälen wird es eine 1,10 Meter hohe Holzverkleidung an den Wänden geben. „Denn wir wollen hier ja auch proben und müssen die Lärmschutzrichtlinien einhalten.“ Hier wurde die Intarsien-Decke an einigen Stellen ebenfalls von Kohleofen- und Zigarrenrauch entfernt und aufgearbeitet. „Das Rot und Gold kommt wieder hervor.“
Die Decke zeugt auch von einem Granateneinschuss im Zweiten Weltkrieg. „Hier fehlen einige wenige Holzteile. Eine heute 96-jährige Frau war hier als Krankenschwester tätig und hat uns davon erzählt“, weiß der Vorsitzende. Überhaupt hat das historische Bahnhofsgebäude – neben der als Lazarett – einige weitere unterschiedliche Nutzungen erfahren. Es beherbergte die Wohnung der früheren Inhaber der Bahnhofsgaststätte, war Taxizentrale oder Unterkunft eines unbekannten Campers.
Jetzt wird es als barrierefreies Vereinsheim der Spielfreunde dienen mit Probenräumen, Kleiderkammer und Büro. Horn: „Wir wollen ein offenes Denkmal führen. Das heißt: Wir werden es an Gesellschaften vermieten und zu Frühlings- und Sommer-Festen einladen.“