Der älteste Jude von Krefeld
Maurice Maslaton war der erste Jude, der sich nach dem Holocaust in Krefeld nieder ließ. In der Seidenstadt baute er die erste jüdische Gemeinde seit der Nazi-Herrschaft auf.
Krefeld. „Ich bin der älteste Jude von Krefeld“, sagt Maurice Maslaton, in französischem Akzent, ganz stolz. Sein halbes Leben - seit 45 Jahren - liest der gebürtig Libanese in der jüdischen Gemeinde Krefeld aus der Tora, der jüdischen Bibel. Jeden Freitagabend und Samstagmorgen zum Shabat sowie an großen Feiertagen.
Bei der Einweihung der Synagoge im jüdischen Gemeindezentrum im Jahre 2008 durfte er als ältestes Gemeindemitglied die Tora umziehen.
„Ich habe die Ehre und das Können, das zu tun“, sagt der Rentner. Wie es dazu kam, ist eng mit „seiner Geschichte“ verknüpft, die es so nicht ein zweites Mal gäbe, davon ist Maurice Maslaton überzeugt. Der rüstige Senior, der dieser Tage seinen 90. Geburtstag feiert und sieben Sprachen spricht, weiß viel zu erzählen und hat dies auch zu Papier gebracht. „Ich habe gerade meine Memoiren fertig“, verrät er. 300 Seiten.
Er wollte damals gar nicht „lange bleiben“, 1953, als er mit 28 Jahren geschäftlich in die Seidenstadt ankam. Krefeld war damals für den jungen Textilfachmann und Sohn eines Stoffhändlers aus Beirut, nach den Textil-Metropolen Como und Lyon eine wichtige Station.
Der Senior erinnert sich: „Die vereinigten Seidenwebereien waren damals die größten ihrer Art in Europa. Ich wusste, dass die in Deutschland gefärbte Ware super war, besonders Schwarz — und die Moslems trugen ja viel Schwarz.“ Es kam eins zum anderen: Ein verpasster Zug und keine Chance, an Heiligabend einen Zug nach Paris zu ergattern.
Schließlich landete der junge Mann beim weihnachtlichen Abschlussball der Tanzschule im Krefelder Hof. Ein junges Mädchen wechselte an seinen Tisch. Maurice Maslaton schmunzelt: „Ihr Kleid war nass durch ein umgekipptes Glas Sekt.“ Der junge Mann sprach kein Deutsch, das junge Fräulein seine Sprache nicht — dennoch funkte es. Obwohl ihre Eltern protestierten, heiratete das Paar und der erste von drei Söhnen wurde geboren. Maurice Maslaton erinnert sich: „Ich habe für drei Mark fünfzig im Hafen Säcke geschleppt und mich am Ende der Woche über einen Blauen gefreut.“
1962 fand der Familienvater eine Anstellung in der Dekoration bei Kaufhof, es folgten Stationen bei Krebs, Schubert und Salzer und schließlich die Selbstständigkeit. Dann sein Traum: eine neue Synagoge in Krefeld. „In den Sechzigern lebten bereits um die 65 Juden in Krefeld. Als Gebetshaus nutzten wir unter anderem ein Gebäude auf der Philadelphiastraße,“ erzählt er.
Der Rabbiner reiste jeweils aus Düsseldorf an. Irgendwann wollte sich die jüdische Gemeinde Düsseldorf diese Kosten sparen. Die Krefelder Gemeinde stand vor dem Aus. Das wollte Maslaton, der in der Lage war, hebräisch zu lesen, nicht hinnehmen und bot an, selber vorzubeten. Er wusste auch, worauf es beim Vorlesen aus der Tora ankommt.
„Die Tora hat keine Satzzeichen, die Betonung ist wichtig, dass der Sinn rüber kommt,“ erzählt der Rentner, der in Beirut durch einem Rabbiner unterrichtet worden war. „Wovon träumst du denn?“ hätten ihn seine Weggefährten gefragt und gaben zu bedenken: „Was nützt die beste Synagoge, wenn keine Juden kommen?“
Hierzu muss man wissen, dass eine jüdische Gemeinde sich nicht zum Gebet versammeln kann, wenn nicht mindestens zehn Mitglieder anwesend sind. Kurzerhand lernte Maurice Maslaton Russisch und machte sich dafür stark, dass Ende der Achtziger russischstämmige Juden der Berliner Gemeinde nach Krefeld übersiedelten. Inzwischen umfasst die jüdische Gemeinde Krefeld 1084 Mitglieder.