Jüdische Gemeinde „Der Antisemitismus ist salonfähig“

80 Jahre nach dem Pogrom spricht der Vorstand der jüdischen Gemeinde über Herausforderungen der Gegenwart.

In der Ausstellung findet man auch die wieder aufgetauchte Turmspitze der zerstörten alten Synagoge.

Foto: NN

Seit zehn Jahren besteht das jüdische Gemeindezentrum mit der neuen Synagoge an der Wiedstraße in der Krefelder Innenstadt. Zeit, den Blick auch einmal zurück schweifen zu lassen. Vor 80 Jahren ließen die Nationalsozialisten die Synagogen niederbrennen. Gedenkfeiern an den Pogrom finden im November statt. In Krefeld schmieren aber auch heute wieder Leute wieder Hakenkreuze an die Häuserfassaden. Die WZ sprach mit dem Vorstand der jüdischen Gemeinde, Vorsitzender Michael Gilad (71), Stellvertreter Eldad Horwitz (72) und Alexander Konev (30) im neuen Gemeindezentrum über die Gegenwart und das jüdische Leben in Krefeld.

Vor 80 Jahren fand der Pogrom statt. Haben Sie das Gefühl, dass der Antisemitismus heute wieder salonfähig geworden ist?

Michael Gilad: „Oh ja! Es gab in letzter Zeit viele Hakenkreuze in der Stadt. Am Anfang habe ich das der Polizei gemeldet. Es hat lange gedauert, bis diese überpinselt worden sind. Ich habe einen Passanten gefragt: ‚Wie gehen Sie mit diesem Schandfleck um?’ Und die Antwort war: ‚Ach, wir können sowieso nichts dafür.’ Es herrschte Desinteresse. Ich habe einen Zettel über das Hakenkreuz geklebt und gefragt: ‚Bemerkt jemand diesen Schandfleck?’ Was glauben Sie, was nach zwei Tagen weg war? Der Zettel.“

Eldad Horwitz: „Im direkten Umfeld merkt man keinen Antisemitismus. Wir wissen natürlich nicht, was die Leute denken. Aber der Antisemitismus ist wieder salonfähig.“

Alexander Konev: „Er war nie weg. Er wurde nur unterdrückt. Wenn man auf einem Schulhof sagt, dass man Jude ist, dann gibt es den einen oder anderen Kommentar. Dem müssen wir etwas entgegensetzen, die Geschichte mit dem Holocaust. Wir wollen das Bewusstsein stärken. Antisemitismus ist Rassismus.“

Wie hat sich das Gemeindeleben in den vergangenen Jahren verändert?

Horwitz: „Es ist sehr lebendig geworden. Wir haben Jugend- und Seniorengruppen dabei. Verschiedene Gruppen, die verschiedene Aktivitäten haben. Einmal pro Woche gibt es bei uns auch das offene Café. Chor, Tanz, Gottesdienste, auch wenn auch wir in Krefeld an dem Schwund an Gottesdienst-Teilnehmern leiden wie in der gesamten westlichen Welt.“

Gilad: „Sie sehen, wie schön groß wir hier geworden sind. Man kann es auf den Bildern in unserer Dauerausstellung hier auch sehen. Diejenigen, die nicht zu den Gottesdiensten gehen, haben bei uns auch andere Angebote. Wie zum Beispiel die Bibliothek. Jeder kann dort nehmen, was er sieht. Wir hatten bis etwa 1989 etwa 150 Mitglieder. Ab 1990 gab es eine Welle der Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion nach dem Mauerfall. Es war eine große Herausforderung. Wir hatten in Krefeld schnell bis zu 1250 Mitglieder. Heute sind es etwa 1100. Die Aufgabe lag darin, diese Leute zu integrieren. Pensionierte Lehrer haben den Neuen die deutsche Sprache beigebracht. Die Leute durften in der Sowjetunion ja keine Religion ausüben. Als sie hier zu uns kamen und hebräische Gebete gehört hatten, haben sie nichts verstanden. Das Wissen kam aus der Erinnerung aber zurück. Wir haben uns sehr bemüht, diese Menschen zu integrieren.

Konev: „Wir müssen mit der Zeit mitgehen. Früher gab es nur die Synagoge. Nur Religion als Angebot ist zu wenig. Man muss den Leuten etwas bieten, damit sie kommen. Das Jugendzentrum, kulturelle Dinge. Ob sie den Weg in die Religion finden, ist eine persönliche Einstellung. Dass die Gemeinde für einen da ist, die Zusammengehörigkeit, ist sehr wichtig.“

Wie soll das Zusammenleben mit den anderen Religionen in Krefeld funktionieren, auch mit dem Islam?

Gilad: „Mit gegenseitigem Respekt, nichts anderes. Wir arbeiten daran, wir verstehen uns alle. Der Dialog der Religionen funktioniert, wir treffen uns. Es gibt die Krefelder Erklärung. Aber die Menschen dahinter, an die kommen wir nicht heran. Ich möchte mit den Menschen an der Basis sprechen, nach einem Gottesdienst, nach einem Moscheebesuch. In Krefeld hatten wir wie in Berlin einen Fall, wo ein junger Jude an einer Schule beleidigt wurde und die Schule verlassen hat. Die Schulleitung hat zu spät reagiert. Niemand hat darüber gesprochen. Man kam zu mir und sagte: ‚Warum hat man das publik gemacht?’ Der Schulleiter wollte davon nichts wissen.“

Wie blicken Sie auf den Bau vor zehn Jahren zurück? Es gab Verzögerungen, eine Kostenunterdeckung.

Gilad: „Die Verzögerung hat es nicht wegen des Geldes, sondern wegen eines Wechsels des Architekten gegeben. Der neue Architekt war Klaus Reymann. Er hat sich erst einmal in die Materie eingearbeitet, mit dem Judentum vertraut gemacht. Alle Menschen, die zum zehnjährigen Bestehen der Synagoge zu Besuch kamen, waren von unseren Räumen hier angetan.“

Horwitz: „Ich behaupte, dass die neue Krefelder Synagoge zu den modernsten und schönsten in Deutschland gehört. Und ich kenne einige Neubauten.“