Die Siemensianer in Krefeld kämpfen

Gewerkschafter attackiert Geschäftsführer und kündigt Warnstreiks für Januar an. Kundgebung steigt Montag.

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Krefeld. Nach einem turbulenten Jahr wird es am Montagmorgen ab 8.30 Uhr vor dem Haupttor von Siemens in Krefeld rappeln. 300 von 2500 Stellen sollen abgebaut werden, die Fusion von Siemens mit dem französischen Konkurrenten Alstom wird ab Ende 2022 wohl weitere Köpfe kosten, jetzt stehen die Tarifverhandlungen bevor. Die Betriebsräte der IG Metall haben Vorstand Jürgen Kerner zu Gast, der gleichzeitig im Siemens-Aufsichtsrat sitzt. Sprechen wird aber auch einer, der die Stimmung in Krefeld wie nur wenige vertritt: Vertrauenskörperleiter Jens Köstermann sagt Sätze wie „Jo Kaeser macht den Eindruck, als sei er der Chef einer Ein-Euro-Bude — alles muss raus.“

Das Misstrauen gegenüber der Siemens-Geschäftsführung ist an der Basis groß. Zuletzt hatten sich Gewerkschafter und Betriebsräte noch bemüht, die Alstom-Fusion mit einem gemeinsamen Jahresumsatz von 15 Milliarden Euro als notwendige Maßnahme gegen den China-Riesen CRRC zu akzeptieren. Längst richtet sich der Blick nach vorn, auf das Ende des vierjährigen Kündigungsschutzes und auf die Perspektiven für deutsche Standorte. Krefelds Betriebsratschef Spörk befürchtet im WZ-Interview, dass eher deutsche als französische Standorte von Schließungen oder Stellenabbau betroffen sein könnten. Spörk fordert unter anderem einen Bahnkoordinator in Berlin, der Schiene und Industrie zusammendenkt und gegen die Straße positioniert.

So steht es auch in dem Positionspapier, das die Betriebsräte am Montag mit möglichst viel Lärm und Aufmerksamkeit als Signal für den Bahnstandort Deutschland in Richtung Bundesregierung auf den Weg bringen wollen. Außerdem im Katalog: die Einführung eines Branchendialogs für Bahn und Industrie mit Politik, Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Forschung, ein nationales Forschungsprogramm für die Bahnbranche, die Sicherung von hoch qualifizierten Fachkräften durch Aus- und Weiterbildung, faire Auftragsvergaben der öffentlichen Hand und der Deutschen Bahn sowie Investitionen in die Schienen-infrastruktur.

Bedingungen, die auch die Zukunft von Siemens Krefeld sichern könnten. Männer wie Jens Köstermann hören die Sorgen, Nöte, Ängste und Hoffnungen der Belegschaft täglich und sind nicht dafür bekannt, ein Schleifchen drumzubinden. Darauf verzichtet Köstermann auch im Kurzinterview mit der WZ, bevor er am Montag ans Podest tritt.

Herr Köstermann, wie ist die derzeit Stimmung im Werk?

Jens Köstermann: Mittelprächtig, denn der Arbeitsplatzabbau vor Neuaufstellung mit Alstom bringt keine Begeisterung. Bei den Werkern gibt es Zweifler, ob der Merger trägt, Kamp-Lintfort ist ja nicht so weit weg.

Gibt es schon etwas Neues aus der Geschäftsführung?

Köstermann: Ich bekomme die meisten Infos aus der Chefetage via Pressemitteilung.

Wie schätzen Sie persönlich die Entwicklung ein, was wird passieren?

Köstermann: Der Prozess ist ergebnisoffen, wir werden uns so gut aufstellen, dass an Krefeld nichts vorbei geht.

Versteht Herr Kaeser Siemens nicht?

Köstermann: Schöne Frage, die würde ich ihm gern in einer Betriebsversammlung auch stellen.

Sie können den Kurs gar nicht nachvollziehen?

Köstermann: Die Luft am Wittelsbacher Platz (Hauptsitz von Siemens in München, Anm. d. Red.) scheint etwas dünner zu sein oder der Dauer-Jetlag ist schuld oder zu viele Reisen mit der Kanzlerin, was auch immer . . . ich versteh Josef Kaeser und seine Entscheidungen zur Ausrichtung der Siemens AG nicht.

Was, glauben Sie, bringt eine solche Kundgebung?

Köstermann: Sonst bewegt sich nichts. Politik und Arbeitgeber brauchen manchmal etwas Dampf, damit sie sich bewegen. Wir sind die Dampfproduzenten.

Thema Tarifrunde 2018. Was sind die Forderungen?

Köstermann: Sechs Prozent mehr Geld und die Möglichkeit einer verkürzten Vollzeit von 28 Stunden für zwei Jahre fordern.

Verkürzte Vollzeit?

Köstermann: Bei der Beschäftigtenbefragung der IG Metall haben 70 000 Kollegen bundesweit und aus unserer Fabrik über 600 teilgenommen. Das war ein zentraler Wunsch, den nehmen wir ernst. Was fehlt, ist die Möglichkeit, sich für Erziehung oder Pflege Zeit zu nehmen oder dafür, mal auf die Bremse treten zu können und die Arbeitszeit vorübergehend zu reduzieren — mit Rückkehroption auf Vollzeit.

Wann ist mit Warnstreiks zu rechnen?

Köstermann: Mit der ersten Welle ab Anfang Januar, mit der zweiten Ende Januar. Anfang Februar dann mit 24-Stunden-Streiks und wenn das nicht reicht mit einer Urabstimmung ab Mitte Februar.