Engagement für Obdachlose Krefelderin lebt Nächstenliebe
Krefeld · Einst ein Findelkind, setzt sich Irene Kousias für die Armen und Obdachlosen in Krefeld ein. Sie ist für den Deutschen Engagement-Preis nominiert.
Am Dienstag hat sich Irene Kousias wieder auf den Weg zu ihren Menschen gemacht. Sie wollte wieder mildtätig sein, diejenigen beglücken, die sich in der Not befinden. Für die das Leben auf der Straße ein alltägliches Übel und ein Kampf um die bloße Existenz geworden ist, aus welchen Gründen auch immer.
Alte Jacken, Hosen und Schuhe verteilte die 61-Jährige am Krefelder Hauptbahnhof. Winterkleidung gegen die Kälte. „Es muss ja nicht sein, dass die frieren“, sagt sie über die Obdachlosen, Drogenabhängigen und Bettler, die sie regelmäßig trifft und aufsucht. Wo andere Mitbürger sich eher wegdrehen, geht ihr Herz erst richtig auf. „Für mich sind es wunderbare Menschen, über die ich in Gesprächen viel erfahren habe. Hinter jedem Schicksal steht eine Geschichte“, sagt Kousias
Ihre Hilfsbereitschaft blieb lange im Verborgenen. Für die Caritas und Diakonie ist sie seit Jahren schon ehrenamtlich unterwegs. Nun aber ist die Krefelderin vom Bundesverband der Deutschen Stiftungen für den Deutschen Engagement-Preis nominiert worden. Bis zum 27. Oktober können die Bürger noch für sie abstimmen. Der Preis ist mit 10 000 Euro dotiert, die ersten 50 Platzierten erhalten eine Teilnahme an einer kostenlosen Fortbildung.
So viel Aufmerksamkeit ist die 61-Jährige gar nicht gewohnt: „Es ist für mich erstaunlich, dass ich jetzt gesehen werde. Ich habe mich immer eher als kleines Licht betrachtet.“ Die Ärztin Renate Schmidt, die mit ihr das Medi-Mobil, eine Art medizinische Betreuung auf Rädern, unterhält, hat Kousias bei der Stadt für diese Wahl vorgeschlagen – für ihre bürgerschaftliche Hilfe als Ehrenamtliche. Der Begriff des „guten Geistes“ macht die Runde, wenn von ihr gesprochen wird. Sie bringt sich ein mit dem, was sie christliche Nächstenliebe nennt: „Wir sind nicht auf der Welt, um nur für uns selbst zu sorgen.“ Bürgernähe, soziale Integration und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben – dafür setzt sie sich mit Herzblut ein. Der Preis – das ist auch etwas Genugtuung für das Leid, was sie schon erlebt hat.
61-Jährige will weitergeben, was sie nicht bekommen hat
Die 61-Jährige will das weitergeben, was ihr als Säugling verwehrt blieb: Liebe und Geborgenheit. Denn: Irene Kousias ist ein Findelkind. Ihre Eltern setzten sie wenige Wochen nach der Geburt aus. Sie lag buchstäblich im eigenen Dreck, als man sie gerade noch früh genug entdeckte. „Ich habe so laut geschrien, dass man mich im Gebüsch gefunden hat. Ich wollte leben.“ Im Kinderheim in Traar wuchs sie auf, machte eine Ausbildung zur Krankenpflegerin, wurde später Erzieherin. „Meine Vergangenheit hat mich geprägt. Ich bin aber dadurch nicht vergrämt. Als Kind habe ich mir gesagt: Später tust du etwas Gutes.“
Ihren Traum von Afrika gibt sie auf. Heute ist sie Frührentnerin. Der Halswirbel macht nicht mehr mit. Irene Kousias hat Höhen und Tiefen erlebt, manches hat tiefe Spuren in ihrer Seele hinterlassen. Doch sie lässt sich von mancher Stimmung nicht entmutigen: „Ich freue mich des Lebens.“ Wenn sie mit ihrem Hund vor die Tür geht und eine Runde dreht, trifft sie auch immer mal wieder auf die Menschen von der Straße. Sie pflegt die Kontakte, sie will damit nicht aufhören. „Irene, wann kommst du wieder“, rufen ihr manche zu, die ihr begegnen, erzählt die Krefelderin. Jahrelang hat sie das Frühstück für Obdachlose einmal in der Woche organisiert. Wenn der Kaffeeduft in die Schlafräume in den Unterkünften zog, dann war klar: Irene ist wieder da. Sie schmierte Brötchen für den Tag. „Ich habe noch keine schlechte Erfahrung mit Drogenabhängigen und Alkoholikern gemacht. Ich kenne sie alle.“
Seit Corona ist das Treffen in der Notschlafstelle nicht möglich, trotz einiger Initiativen ihrerseits habe sich noch nichts getan. Nun geht Kousias dorthin, wo die Nicht-Sesshaften sind. „Das Feedback der Menschen geht mir ans Herz“, berichtet sie. Die Nominierung mache sie „mächtig stolz.“ Sie ist gerührt. Heute lebt sie alleine mit Hund, seit 20 Jahren von ihrem Mann geschieden. Aber die beiden haben ein gutes Verhältnis. Durch ihr ehrenamtliches Engagement schauen ihre beiden Töchter zu ihr auf. „Die Familie ist mein Heiligtum“, sagt sie. Das, was sie als Kind nicht haben konnte, sollen andere aber spüren: Wärme.