Nostalgie Fast ein halbes Jahrhundert im Job

Uerdingen · Vor 50 Jahren startete eine Gruppe junger Männer die Ausbildung bei Bayer in Uerdingen. Jetzt traf man sich im Restaurant Stadtpark, um das Jubiläum mit einem Hauch Nostalgie zu feiern.

Sie kommen nach ihrem Start ins Berufsleben vor 50 Jahren auf rund 440 Jahre Berufserfahrung (v.l.): Detlev Dohmen, Michael Schumacher, Lothar Münster, Uwe Fuchs, Werner Schulz, Wolfgang Skirde, Klaus Viehman, Peter Bringsken und Hans-Gerd Josten.

Sie kommen nach ihrem Start ins Berufsleben vor 50 Jahren auf rund 440 Jahre Berufserfahrung (v.l.): Detlev Dohmen, Michael Schumacher, Lothar Münster, Uwe Fuchs, Werner Schulz, Wolfgang Skirde, Klaus Viehman, Peter Bringsken und Hans-Gerd Josten.

Foto: Andreas Bischof

Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen, das Treffen wäre arrangiert, weil die Herren doch alle irgendwie Mitte September Geburtstag haben und sich deshalb bei der Begrüßung höflich und anerkennend beglückwünschen. Die illustre Runde der neun Herren, die da am Montagabend im Restaurant Stadtpark zusammen gekommen ist, feiert nicht Geburtstag. Sie verbindet irgendwie eine viel größere Geschichte als ein jährlicher Feiertag. Sie feiern ein halbes Jahrhundert. Am 16. September 1974 begannen sie ihre Ausbildung bei der Bayer AG im Werk Uerdingen. „Um 6.45 Uhr war unser Start ins Berufsleben“, sagte Detlev Dohmen, der zu den Initiatoren dieses Treffens gehört. 16 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren machten den ersten Schritt ins Berufsleben. Helmut Schmidt war Kanzler der Bundesrepublik und Deutschland zum zweiten Mal Fußballweltmeister.

Als Auszubildende zum Mess- und Regelmechaniker bei der Bayer AG trafen sie sich im Ausbildungszentrum A6 in Uerdingen. Es wartete ein neues Umfeld, neue Menschen, neues Wissen und zu allem Überfluss auch noch die Teenager-Zeit. Rechts und links des Eingangstores zur Lehrwerkstatt an der Duisburger Straße habe es Kneipen in Reihe gegeben. Das sei schon eine Versuchung gewesen, sagt Wolfgang Skirde und schweigt zu weiteren Ausführungen der Umsetzung. Tatsächlich habe die Bayer AG später die Immobilien, die Kneipen beherbergten, alle aufgekauft und später abgerissen, weil die Kneipen-Gängerschaft den Führungskräften im Werk ein Dorn im Auge gewesen sei.

Im ersten Lehrjahr gab es
einen Lohn von 335 Mark

Was diese Runde zu einem seltenen Ereignis von Nachhaltigkeit macht, ist der Umstand, dass ihre Lebensbiographien in einer sich rasant veränderten Arbeitswelt anmuten, wie aus einem anderen Jahrtausend. Am Tisch versammelt sich die Erfahrung aus rund 440 Berufsjahren. Der Jüngste bezieht seit dem 1. August Rente, aber alle haben über 45 Jahre gearbeitet, mache sogar 48 oder 49 Jahre. „Ich hatte fünf Arbeitgeber“, sagt Hans-Gerd Josten zwar, aber alle haben irgendwie auch mit Bayer zu tun oder mit Nachfolgefirmen. Bayer, Newco, Lanxess, Aliseca und wieder Lanxess zählt er auf.

90 Auszubildende seien sie gewesen 1974 mit dem Berufsziel als Schlosser, Elektriker oder eben Mess- und Regeltechniker. Es ging um alles, was irgendwie mit Mechanik zu tun hat, sagt Josten. Im ersten Lehrjahr waren alle täglich nur in der Werkstatt, um Grundbegriffe zu lernen. Im zweiten Lehrjahr ging man in die entsprechenden Fachbereiche und im dritten und vierten Lehrjahr in die Werkstätten der Produktionsbetriebe. Dreieinhalb Jahre dauerte die Ausbildung, 24 Tage Urlaub standen im Vertrag, den Wolfgang Skirde bereitwillig zeigt. Der Vertrag liegt als Foto in der What‘s-App-Gruppe der Rentner – Uerdingen 74 heißt sie. Dort ist auch zu lesen, dass es 335 Mark im ersten Lehrjahr gab, 545 waren es dann im vierten Jahr. Nach der Ausbildung habe es „so rund 1700 Mark brutto gegeben“. Die Atmosphäre sei immer sehr familiär gewesen. Es habe eine Mitarbeiterzeitung gegeben mit dem Titel: Unser Werk. „Genau so war es“, sagt Dohmen. Die Identifikation sei sehr groß gewesen. Dazu hätten auch Fahrten auf die Hütte des Ski-Klub Bayer Uerdingen in Langenwiese im Sauerland beigetragen. „Das waren Pflichtveranstaltungen, alle mussten mit.“ Lothar Münster sagt gelassen: „Da habe ich Rauchen und Trinken gelernt.“ Auch Norbert Pixken, der ehemalige Trainer von Zehnkampf-Weltrekordler Jürgen Hingsen, sei damals mit dabei gewesen.

Auch wenn man sich in den über vier Jahrzehnten mitunter etwas aus dem Auge verloren habe, zumal auch einige das Werk verlassen hatten, seien die ersten Treffen noch vor Corona initiiert worden. Auf den Tag genau zum 50. Geburtstag ihres Berufseinstieg feierten die Herren ein Wiedersehen. Der Kanzler heißt nicht mehr Schmidt, Weltmeister sind wir auch nicht – aber die Erinnerung bleibt.