Fall Ertürk: Darüber darf die Politik öffentlich diskutieren
Laut externem Gutachten darf der Berichts der Rechnungsprüfung im Fall Ertürk zwar öffentlich diskutiert werden, aber nur die nichtgeschwärzten Stellen. Warum die Parteien trotzdem an öffentlichem Tribunal für Ertürk festhalten.
Krefeld. Das, was Sie in dem Bild sehen, ist eine Doppelseite des 46 Seiten starken Endberichts der Rechnungsprüfung. Dieser befasst sich mit Unregelmäßigkeiten der Mietgeschäfte zwischen dem SPD-Ratsherrn Mustafa Ertürk und der Stadtverwaltung, Fachbereich 60. Gut zwei Drittel dieser Informationen befinden sich unter den schwarzen Balken, übermalt aus Datenschutzgründen. Laut externem Gutachten darf der Bericht zwar öffentlich diskutiert werden, aber nur die nichtgeschwärzten Stellen. Die sind selten und befassen sich in erster Linie mit Untersuchungsregularien. Die Politik, zuvorderst FDP und CDU, halten trotzdem an der öffentlichen Sondersitzung des Rechnungsprüfungsausschusses am Donnerstag fest. Eine Diskussion, bei der kaum diskutiert werden darf, ist Politik für die Galerie.
Zur Erinnerung: Der Abschlussbericht stellt fest, dass Fehler auf beiden Seiten, also bei Ertürk und im Fachbereich, gemacht worden sind. Juristisch ist Ertürk jedoch nichts vorzuwerfen. Es geht neben der verspäteten Meldung der Mietgeschäfte mit der Stadt beim Oberbürgermeister, um fehlende Übergabeprotokolle und Genehmigungsverfügungen oder die Nichteinhaltung des Vieraugenprinzips. Nachlässigkeiten, die im zuständigen Fachbereich in erster Linie mit der Überbelastung auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise erklärt werden. Von Ertürk mit Unwissenheit als neues Mitglied des Rates. Geschenkt.
Alles bekannt, alles durchexerziert. Und mehr wird eine erneute Diskussion, zumal mit 70 Prozent geschwärzten, sprich für die Öffentlichkeit verbotenen Inhalten sachlich auch nicht ergeben. Trotzdem halten die politischen Mitbewerber der SPD an der öffentlichen Veranstaltung fest. Aus offenbar unterschiedlichen Gründen. Der WZ liegt das Wortlautprotokoll aus der bislang letzten, nicht-öffentlichen Ausschusssitzung vom 12. Juni vor. In der stellt Gero Hattstein, CDU-Sprecher im Rechnungsprüfungsaussschuss, trotz der sachlichen Entlastung von Ertürk „eine Häufung von Merkwürdigkeiten“ fest und unterstellt, Ertürk habe versucht, „die Stadt als Vertragspartner in großem Umfang auszunehmen“. Die Stellen, wo er die entsprechenden Hinweise im Bericht gefunden haben will, sind für Donnerstag aber geschwärzt. Trotzdem heißt es jetzt: „Dass es eine Sondersitzung des Rechnungsprüfungsausschusses geben wird, hat eine große Mehrheit in der vergangenen Sitzung so beschlossen. Wir werden als CDU-Fraktion an diesem Beschluss festhalten.“
Für die FDP hat Joachim C. Heitmann eher die Stadtverwaltung im Visier: „Es geht vor allem darum, die Schwachstellen im Fachbereich aufzuzeigen. Es gibt noch 300 weitere Verträge zwischen Mandatsträgern und der Stadt. Wir müssen befürchten, dass dieses Geschäftsgebaren keine spezifischen Suhrke-Ertürk-Kühn-Erscheinungen sind.“
Die einen wollen das politische Tribunal für Ertürk, den K.o. durch die Moralkeule, die anderen erneut mit dem Finger in der Verwaltungswunde porkeln. Und beide haben gute Chancen, ihr Ziel auch ohne sachliche Debatte zu erreichen. Tatsächlich bietet Ertürk moralische Angriffsfläche. Sollte die Stadt zu viel Miete gezahlt haben, fragt niemand danach, wer die Vertragsvorgaben gemacht hat. Dass der Unternehmer sich daheim nicht mit seiner Lebensgefährtin über die Geschäfte der Via Real Estate unterhält, ist ebenfalls kaum anzunehmen. Beides rechtlich nicht relevant, aber politisches Wurfmaterial.
Und dass in einem wichtigen Fachbereich offensichtlich nicht mal Mindeststandards bei Mietgeschäften eingehalten wurden, Flüchtlingswelle hin oder her, taugt ebenfalls zur Quelle kollektiven Unbehagens, das sich auch ohne Details herstellen lässt.
Zielführender und sachdienlicher wäre es gewesen, auf diese öffentliche Schauveranstaltung zu verzichten und hinter verschlossenen Türen, ungeschwärzt, ungeschminkt und ohne Einschränkungen relevante Details auseinanderzupflücken. Um solche insgesamt schädlichen Polit- und Verwaltungspossen künftig im Sinne Krefelds zu vermeiden.