HÄUSLICHE GEWALT Gewalt: Berlin blickt nach Krefeld
Krefeld · Netzwerk gegen häusliche Gewalt wurde für Bundesprojekt ausgewählt und hofft auf Ausbau bei Frauenhäusern.
116 Frauen, die im vergangenen Jahr Opfer häuslicher Gewalt wurden, aber keinen Platz im Krefelder Frauen- und Kinderschutzhaus fanden: Zahlen wie diese leitet das Krefelder Netzwerk gegen häusliche Gewalt jetzt nach Berlin weiter – weil es für ein Projekt der Bundesregierung ausgewählt wurde. Der Bund hat fünf Bundesländer benannt, darunter NRW. In Düsseldorf wiederum wurden Krefeld als Oberzentrum, Köln als Ballungszentrum, Hamm als Mittelzentrum und Minden-Lübbecke und Steinfurt als ländliche Bereiche ausgeguckt.
„Es geht darum, die Erfahrungen aus den vergangenen Jahren abzuschöpfen und Bedarfe zu ermitteln“, erläutert Ute Nöthen, Opferschutzbeauftragte der Polizei Krefeld. Das Projekt läuft bis 30. Juni 2019. Über Onlinefragebögen und Interviews werden Daten und Fakten erhoben, Bedarfe und Erfahrungen im Hilfesystem abgefragt, um sie ins Bundesprojekt einfließen zu lassen. Dazu gehören auch die fehlenden Plätze im Frauenhaus. „Die Politik hat das Problem erkannt. Ich hoffe, dass Frauenhäuser sich bald vergrößern können und neue Häuser gebaut werden“, sagt Martina Müller-West, Leiterin des Frauenhauses Krefeld in Trägerschaft des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF).
Netzwerk agiert nicht
nur für Frauen als Opfer
Warum das wichtig ist, zeigen lokale, Landes- und Bundesstatistiken. 2017 starben in NRW 72 Menschen durch häusliche Gewalt, 56 dieser Opfer waren Frauen, die vom Partner oder Ex getötet wurden. Bundesweit ging im vergangenen Jahr – statistisch gesehen – alle zwei bis drei Tage ein häuslicher Gewaltakt tödlich aus. Das zeigen Daten des Bundeskriminalamts, die die Bundesfrauenministerin Franziska Giffey gerade erst präsentiert hat. Rund 138 000 Fälle von Misshandlung und sexueller Nötigung zu Hause, in der Familie, wurden 2017 deutschlandweit, 38 500 in NRW angezeigt. Die Dunkelziffer liegt laut Giffey deutlich höher. Bundesweit habe sich nur jeder Fünfte an die Behörden gewandt.
Fragen wie „Wie schnell kann geholfen werden?“ oder „Wo sind Zugangsbarrieren?“ gehörten zur Analyse, an der sich das Krefelder Netzwerk nun beteiligt, berichtet Silvia Hellfeier, die stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Krefeld und Koordinatorin des Krefelder Netzwerkes gegen Häusliche Gewalt. „Wir freuen uns, dass man auf uns aufmerksam geworden ist“, sagt die Verwaltungsmitarbeiterin. Gründe dafür, dass man sich für Krefeld entschieden habe, gebe es einige. Dazu gehören, wie die drei Netzwerk-Vertreterinnen aufzählen, unter anderem langjährige Erfahrung, ein breites Partner-Spektrum im Netzwerk und eine frühe Ausweitung des Blicks auf Opfer und Täter.
Aus der „Keimzelle“ der vor fast 30 Jahren bereits zusammenarbeitenden Partner Frauenberatungsstelle, Gleichstellungsstelle, Polizei und Frauenhaus sei eine Struktur „mit so vielen Beteiligten gewachsen, von denen viele sonst nicht an solchen Netzwerken beteiligt seien – das zeichnet uns aus“, berichtet Martina Müller-West. Dazu gehören beispielsweise Vertreter des Familiengerichts, der Ärztekammer und Apotheker. „Wir werden in unserer Arbeit beispielsweise dadurch bestärkt, dass die Richterschaft an unseren Veranstaltungen teilnimmt“, sagt Nöthen, „wir erleben aus anderen Behörden, dass es schwierig ist, Richter dazu zu gewinnen. Für uns ist das ein gutes Signal als Akteure im Netzwerk, dass wir etwas bewegen können.“
Der Schwerpunkt liege dabei zwar auf Frauen als Opfer häuslicher Gewalt, „aber für unsere Arbeit in Krefeld ist uns wichtig, alle Themenbereiche zu sehen“, sagt Hellfeier. Man blicke beispielsweise auch auf Männer als Opfer und Frauen als Täter, auf Kinder und Übergriffe im Alter beziehungsweise in der Pflege durch Angehörige. Die Problemstellungen veränderten sich durch gesellschaftlichen Wandel, aber das Thema bleibe.
Beispiel: Frauenhäuser. „Als vor Jahren das Gewaltschutzgesetz in Kraft trat und die Polizei die Möglichkeit bekam, gewalttätige Familienmitglieder für zehn Tage des Hauses zu verweisen, hieß es: Frauenhäuser brauchen wir dann nicht mehr“, erinnert sich Nöthen. „Das Gegenteil ist eingetreten. Der Bedarf ist sichtbar, und wir müssen erkennen, dass es Frauen gibt, denen eine solche Wegweisung nicht hilft. Frauenhäuser sind nicht entbehrlich.“