Krefeld „Hier wird’s keine Lager für Flüchtlinge geben“
In Bayern setzt die CSU mit der Eröffnung von Ankerzentren ihr Asylprojekt um. Die WZ hat den Leiter des Fachbereichs Migration und Integration und die Krefelder Parteien nach ihrer Meinung in der Flüchtlingsdebatte gefragt.
Asylpaket, Grenzkontrolle, Schleierfahndung, Zurückweisung. Kaum ein Thema wurde in den vergangenen Wochen in Deutschland so heiß diskutiert wie die Flüchtlingspolitik. Fast immer geht es um Menschen aus Kriegsgebieten, die Schutz suchen oder solche, die vor Folter fliehen. Viele lassen im Mittelmeer ihr Leben. In europäischen Ländern, besonders in der Bundesrepublik, suchen sie eine bessere Zukunft. Wie sollen die EU-Länder, wie soll Deutschland mit Geflüchteten umgehen, die an den Grenzen ankommen?
Der Leiter des Fachbereichs Migration und Integration sagt, dass manche Informationen völlig unzureichend dargestellt würden. Ein Beispiel: Die Forderung, man müsse Geflüchtete in die „Erstaufnahmeländer“ zurückschicken, führe nicht weiter, wenn man bedenkt: „Griechenland, Italien und Spanien sind aufgrund ihrer geographischen Lage für die weit überwiegende Zahl Geflüchteter, die ja über das Mittelmeer kommen, natürlich immer Erstaufnahmeland. Auch wenn diese Länder damals die Dublin-Vereinbarungen unterzeichnet haben, können sie sich jetzt gar nicht mehr daran halten. Das würde bedeuten, dass sich letztlich nahezu alle Geflüchteten früher oder später auf ihrem Territorium aufhalten würden.“ Pamp: „In der aktuellen Umsetzung des Dublin-Verfahrens werden nach Griechenland übrigens nach unseren — nicht gesicherten — Informationen keine und nach Italien nur alleinstehende Männer überstellt. Grund sind allgemein bekannte institutionelle Mängel, insbesondere in der Unterbringung in diesen Ländern.“
„Ein Einwanderungsgesetz wird noch in diesem Jahr auf den Weg gebracht, es wird keine nationalen Alleingänge geben“, sagt SPD-Parteivorsitzender Ralph-Harry Klaer. „Das sind gute Nachrichten. Werden diese Punkte jetzt gut und klug umgesetzt, ist auch bald eine Abmilderung der Unsicherheit zur Migration nach Europa denkbar. Zwei starke Voraussetzungen für eine erfolgreiche Politik.“ Es könne keine Maßnahme gut sein, die Menschen in den Tod treibe, erklärt er. „Den Schleusern und Schleppern muss also das Handwerk gelegt werden. Ich bin sehr gespannt, wie die Stärkung der Sicherheit der Außengrenzen aussehen wird. Nach meiner Meinung muss diese Sicherheit, besonders auch, den Menschen helfen, die Schutz suchen. Hier wird in Zukunft erheblich mehr Kompetenz und Personal nötig sein, um eine wirksame Senkung der Todesfälle im Mittelmeer zu schaffen.“ Für das beschleunigte Grenzverfahren seien keine Gesetzesänderungen nötig. „Hier wird’s keine Lager und keine Transitzentren geben. Wenn das Verfahren beschleunigt werden kann, braucht niemand in Lagern oder Zentren auf eine Entscheidung warten. Auch das ist eine gute Nachricht. Das heißt aber auch, dass die bisherigen Bundesinnenminister solche Maßnahmen schon lange auf den Weg hätten bringen können. Die unsäglichen Wartezeiten für Flüchtlinge, die auf die Entscheidung ihres Falles warten, hätten schon lange verkürzt werden können.“
„Wohl kaum ein anderes politisches Thema bewegt die Menschen in unserem Land und auch in Krefeld seit ein paar Jahren so sehr wie die Frage von Migration und Flüchtlingen. Das zeigt sich auch wieder im Zusammenhang mit der Debatte der vergangenen Wochen. Als Politiker erhalten wir hierzu zahlreiche, oft völlig gegensätzliche Rückmeldungen aus der Bevölkerung“, sagt Marc Blondin. Während die einen auf die dramatischen Zustände im Mittelmeer und in Nordafrika verwiesen, kritisierten die anderen, dass auch durch die jetzt gefassten Beschlüsse der Flüchtlingszustrom nicht wirksam genug unterbunden werde. Blondin hat drei persönliche Anmerkungen hierzu. „Erstens: Deutschland hat in den vergangenen Jahren mehr für Geflüchtete getan als irgendein anderes europäisches Land. Vieles ist falsch gelaufen und vieles kann man kritisieren, zum Beispiel Defizite bei der systematischen Erfassung von Einreisenden. Gleichwohl bin und bleibe ich davon überzeugt, dass die Bundesregierung in einer historischen Ausnahmesituation im Grundsatz richtig gehandelt hat.“ Zweitens: „Die Bundeskanzlerin liegt auch damit richtig, sich gegen alle Widerstände im In- und Ausland um gemeinsame Lösungen für die Europäische Union insgesamt zu bemühen. Wenn wir auf diesem Feld 28 Sonderwege beschreiten, können wir die EU drangeben“, betont der Christdemokrat. Und drittens: „Die Politik hat viel zu lange den Eindruck vermittelt, alle Probleme dieser Welt lösen zu können. Fakt ist jedoch, zum Beispiel mit Blick auf das Thema Migration: Es gibt nicht auf jede Frage eine zufriedenstellende Antwort. Auch die oft geforderte Beseitigung von Fluchtursachen kann nur Stückwerk bleiben, weil immer wieder in verschiedenen Teilen der Welt bewaffnete Konflikte ausbrechen und weil das wirtschaftliche Gefälle zwischen unterschiedlichen Regionen unserer Erde auch auf mittlere Sicht so groß bleiben wird, dass es immer wieder Gründe gibt, woanders sein Glück zu suchen. Ich möchte jedem raten, den persönlichen Kontakt zu Geflüchteten zu suchen. Vielleicht sieht man dann vieles in anderem Licht.“
„Wir Grüne lehnen den ,Asylkompromiss‘ entschieden ab. Wir fordern von der Bundesregierung eine pro-europäische Asyl- und Migrationspolitik und wollen eine gemeinsame europäische Lösung mit einer fairen Verteilung der Geflüchteten auf alle EU-Mitgliedsstaaten“, betont Karsten Ludwig. „Außerdem braucht es endlich ein Einwanderungsgesetz, um die Möglichkeit einer legalen und geregelten Migration nach Deutschland und Europa zu schaffen.“ Ob Transitzentren oder Transferzonen: Die Festsetzung von Geflüchteten in geschlossenen Lagern sei „zutiefst inhuman und für uns indiskutabel“, erklärt er weiter. „Sie dienen einzig der Abschreckung und Entrechtung von Schutzsuchenden. Man darf mit einer solchen Regelung das Dublin-Verfahren und damit geltendes EU-Recht nicht aushebeln.“ Die Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung halten die Grünen für einen Skandal. „Im Mittelmeer ertrinken Menschen, während zivile Seenotrettung kriminalisiert wird, die Helfer festgesetzt und mit kriminellen Menschenschmugglern in einen Topf geworfen werden. Weiterhin beziehen sich die Regelungen des Koalitionskompromisses laut Horst Seehofer faktisch auf aktuell fünf Personen am Tag. Umso bizarrer ist das zuletzt aufgeführte Theater. Beruhigen kann die geringe Zahl aber keineswegs angesichts der rechtlichen Fragwürdigkeit der Regelung und ihrer immens schädlichen politischen Folgewirkungen. Wir meinen: Europa braucht Solidarität untereinander und Solidarität gegenüber Flüchtlingen, statt Abschottung und nationaler Alleingänge.“
„Wer immer zu uns kommt, hat das Recht auf Menschenwürde. Das ist ein Grundsatz der FDP“, führt Kreisvorsitzender Heitmann aus. „Wer vor Krieg flüchtet, soll unbürokratisch humanitären Schutz erhalten, nach Wegfall der Fluchtgründe, sprich: nach dem Ende des Bürgerkriegs, aber wieder in die alte Heimat zurückkehren.“ Ebenso: „Wer allein aus wirtschaftlichen Gründen kommt, den werden wir nicht aufnehmen können, das würde die Kapazität sprengen.“ Um die Flüchtlingskrise zu meistern, brauche es die Beteiligung aller EU-Mitgliedstaaten. „Nicht registrierte Flüchtlinge müssen in das Land zurückgewiesen werden, aus dem sie kommen. Die Anrainerstaaten der EU, so wie Italien und Griechenland, sind ohne eine gemeinsame europäische Lösung in einem hohen Maß belastet.“ Bei der individuellen Entscheidung über ein Bleiberecht müssten auch Kriterien wie familiäre Bindung oder Sprachkenntnisse berücksichtigt werden. Ein weiterer Punkt sei, sich wirtschaftlich über Wasser halten zu können. So sei es auch durchaus richtig, Fachkräfte ins Land zu lassen. Heitmann: „Alle anderen werden nicht bleiben können, sondern müssen in Verfahren, die der Menschenwürde entsprechen zurückgeführt werden. Dazu sind wir Europäer verpflichtet, findet der Liberale. „Die Flüchtlinge sind keine Pakete, die wir zurückschicken.“