Bekannteste Currywurst der Stadt Imbiss Bläsen in Krefeld: Hier gibt es "die gute Rote" und Co.
Krefeld · Bei Imbiss Bläsen in Krefeld servieren sie nicht nur die bekannteste Currywurst der Stadt. Was den Imbiss an der Oppumer Straße so besonders macht.
Jetzt sitze ich schon wieder hier. Ein Freitag im April, 11 Uhr, und Thorsten sagt, dass Schalke heute Abend 3:1 gewinnt, hat er jedenfalls getippt. Sonst sieht es düster aus mit dem Klassenerhalt. Thorsten, 51, Frührentner nach Herzinfarkt, trägt Cargohose in Flecktarn und Tätowierungen auf den Armen, Pitbull, Popeye, Totenkopf, Kreuz und eine Bratwurst. Genau, eine Bratwurst. Mit Händen, Füßen und Gesicht. So wie sie hier vor dem letzten Anstrich auch auf der Fassade vom Steh-Imbiss Bläsen zu sehen war. Es ist jene geräucherte Bratwurst, die sie hier an der Oppumer Straße nur „Die gute Rote“ nennen. Dafür ist der Imbiss in der ganzen Stadt bekannt.
Immer wieder kehre ich an diesen Ort zurück, ganz so, als müsste ich die Atmosphäre einmal im Jahr in mich aufnehmen wie ein lebenswichtiges Vitamin, das es nur hier gibt. Im Frühjahr 2021 war ich zum ersten Mal hier. Zunächst, um Currywurst und Pommes zu essen und für gut zu befinden, dann, um den Lesern dieser Zeitung von diesem Ort zu berichten. Jene, die ihn kannten, sollten sich darin wiederfinden. Jene, die noch nie davon gehört hatten, sollten endlich davon hören. Ich berichtete von einem in Eierschalenfarben gestrichenen Verschlag, eine frühere Schießbude mit Vorbau, in dem ein Stehtisch und ein paar Barhocker aufgestellt waren. Das Ganze machte von außen nicht den Eindruck, als würde es den nächsten Sturm überleben. Tat es aber.
1960 hatte Margot Bläsen ihre Pommesbude hier eröffnet und bis Corona noch mit knapp 90 gelegentlich hinter der Theke gestanden. Agnes war da bereits ihre Nachfolgerin, eine gelernte Konditorin, die als Aushilfe angefangen und 2003 übernommen hatte. Rainer, gelernter Metzger, war damals Taxifahrer und Stammkunde, hatte nichts Besseres zu tun, als sich in Agnes zu verlieben, sie mit zwei Briefen und viel Geduld von sich zu überzeugen, sich schließlich selbst hinter die Theke zu stellen und Agnes zu heiraten. Heute ist er 55, sie zehn Jahre jünger. Die Speisekarte ließen sie so gut wie unangetastet. Pommes, Currywurst, Schnitzel, Kotelett, Frikadellen, Schaschlik, Kartoffelsalat, Krautsalat, Nudelsalat, Cola, Fanta, Wasser, Kaffee, eine Sorte Bier.
Mein erster Besuch an der Oppumer Straße war 2021
Bei meinem ersten Besuch im Frühjahr 2021 allerdings hielt uns Corona noch im Griff, die Leute durften bei Bläsen zwar Pommes bestellen, aber nicht dort essen, Abstand halten mussten sie, Maske tragen eigentlich auch. Dabei war mir schon damals klar: Was diesen Ort ausmacht, sind die Menschen, die regelmäßig zurückkehren, noch viel viel regelmäßiger als ich. Deshalb kehrte ich im Sommer 2022 zurück, an einem Donnerstag im Juli, als keine Corona-Beschränkungen mehr die Leute beschränkten, die vermutlich grundsätzlich nicht dazu neigten, sich viel sagen zu lassen. Für eine bekannte deutsche Wochenzeitung sollte ich berichten, wie die Leute denn hier so tickten. Am Ende tickten sie der Redaktion wohl nicht interessant genug oder ich hatte es nicht interessant genug aufgeschrieben, jedenfalls erschien der Artikel nie. Was ich selbstverständlich für einen großen Fehler hielt. Denn man konnte sich hier einfach auf einen Hocker setzen und sich den ganzen Tag unterhalten lassen, ohne auch nur ein Wort zur Unterhaltung beitragen zu müssen. Ich will diesen Ort oder besser die Menschen und das heißt vor allem die Männer weder verklären noch veralbern. Hier wird manchmal viel Blödsinn erzählt, ungebremst, weil Männer unter sich sind. Hier könnten jederzeit die Stadtmeisterschaften im Mansplaining (wenn ein Mann etwas erklärt, von dem er glaubt, dass er es besser weiß als alle anderen Anwesenden) stattfinden, aber wenn ich sagen würde: Leute, kann mir jemand eine Waschmaschine von A nach B transportieren, dann könnte ich unter sieben Freiwilligen wählen, und einer von ihnen würde mir die Waschmaschine auch anschließen und danach das Bad kacheln.
Im Sommer 2022 folgt der nächste Besuch mit speziellem Frühstück
Es ging an diesem Donnerstag im Sommer 2022 schon damit los, dass Ralf und sein Kollege ihre Currywurst vor 11 Uhr bestellten. „Für uns ist das Frühstück“, sagte er, und noch bevor ich dachte „Haha, guter Witz“, sagte er, dass er heute wirklich noch nichts zum Frühstück hatte. Es folgte der Auftritt von Robert, 55, heisere Stimme. Ein Schlosser, der Motorräder restaurierte, mit Jesus und Maria und Schalke 04 tätowiert war, eine Dodge-Kappe trug, Harley-Davidson-Gürtelschnalle und Zopf im grauen Bart. Überraschenderweise war er mit dem Rad gekommen, an der Leine Schäferhündin Else. Robert setzte sich links auf einen Hocker und bekam seinen Kaffee in einer Schalke-Tasse. Als sich ein Kunde mit Hund anstellte, zog Else, die zuvor friedlich dagelegen hatte, plötzlich an der Leine, so dass Robert den Kaffee verschüttete. „Am Fahrrad pennt die bald ein, aber wenn ein Hund kommt…“, sagte er leicht genervt. Mit einer Papierserviette wischte er die Kaffeeflecken von der Theke. Dann bestellte er einen Doppeldecker, so nannte er ein Brötchen mit zwei Bratwürsten und Senf. Am Nachmittag würde er noch einmal zurückkehren, mit einem Motorradhelm, und Agnes nach Sekundenkleber fragen, um den Helm zu reparieren. Sie reichte ihm Alleskleber.
Es kam dann auch Andreas, 53, mit dem ironiefrei getragenen Schnurrbart. Er stellte seinen Mini-Traktor auf dem Parkplatz nebenan ab. Schon vor Jahren hatte er aufgehört zu arbeiten, hatte genug Geld in der Baubranche verdient, nannte sich jetzt Großhobbygärtner und versorgte sich selbst mit Gemüse. Er berichtete, dass er neulich eine Kohlrabi geerntet habe, die 1,36 Kilogramm wog. An der Budenwand lehnte Max und trank eine Cola. Grad hatte er Rainer eine Plastiktüte überreicht, darin eine Kneifzange und die Kette von Rainers Kettensäge. Blitzeblank geworden im Ultraschallbad. Max war 17, große Augen hinter randloser Brille, und machte eine Ausbildung zum Landmaschinenschlosser. Hier galt er als Daniel Düsentrieb, weil er alles selbst machte. Hatte sich sogar einen Whirlpool gebaut mit einer Heizung, die mit Holz befeuert wurde.
Dann setzte sich Josef in die Ecke, 64, Taxifahrer. Erzählte gleich mal, dass er seinen Sohn morgen zum Flughafen nach Weeze bringen wollte, weil der übers Wochenende nach Mallorca flog. Da auf dem Flughafengelände gleichzeitig das Parookaville-Festival lief, fürchtete der Mann ein Verkehrschaos. Deshalb wollte er den Roller in den Kofferraum packen, und wenn es nicht mehr weiterging, einfach umsteigen. Der Sohn hat sowieso nur Handgepäck dabei. Später zeigte Josef uns ein Video auf seinem Handy, „Layla auf dem Weg zur Arbeit“: Eine Frau im kurzen Rock fuhr Fahrrad, der Fahrtwind lupfte den Rock. Im Hintergrund lief der Song, der im vergangenen Sommer die Gemüter auf die eine oder die andere Art erregte.
Nun bin ich wieder hier, im April 2023, und ich komme wieder
Nun bin ich also wieder hier, im April 2023. Eigentlich wollte sich Thorsten das Schalke-Spiel heute Abend in einer Kneipe ansehen, dann aber hat seine Frau Sorge vor dem Rückweg geäußert, wer weiß, welchen üblen Gestalten er dort begegnet. Also wird er zuhause schauen. Seine Frau war es auch, die ihn nach seinem Herzinfarkt noch rechtzeitig gefunden hat, sonst säße er heute nicht mehr hier, sagt er. Jetzt muss er erst mal weg, jemandem den Vorgarten machen. Robert ist auch schon wieder da, diesmal ohne Hund, aber wieder mit Kaffee in seiner Schalke-Tasse. „Ohne Frau kannst du essen wie ein Wikinger“, sagt er. Robert bestellt Brühwurst mit Kartoffelsalat bei Agnes. Auch heute trägt er Trucker-Cap, diesmal steht „Trump 2024“ darauf. Ja, sagt er, meint er ernst. Er mag die USA, würde gerne selbst dort leben, aber er findet, dafür sei er jetzt zu alt. Er war schon mal dort, hat in Boston einen befreundeten Tätowierer besucht, der in Krefeld aufgewachsen ist.
Dann kommt Pierre, Hut mit Krempe auf dem Kopf, bloß dass der Hut mit goldenen Pailletten besetzt ist. Wenn ich ihm glauben darf, hat er seit gestern Abend mit Freunden in der Düsseldorfer Altstadt gefeiert und sich nun auf einen Absacker vorbeibringen lassen. Er bestellt erst mal eine Flasche Bier. Nicht jetzt schon nüchtern werden. Pierre hat eine Menge zu erzählen. Von seiner Zeit in Gelsenkirchen, wo er aufgewachsen ist, und wo seine Vorfahren wichtige Teile der Infrastruktur aufgebaut hätten, im Grunde haben sie Gelsenkirchen ins 20. Jahrhundert geführt. Pierre erzählt, wie er mit dem Schauspieler Diether Krebs und Herbert Grönemeyer in einer Disko gefeiert hat, er erzählt von seinem ersten Fallschirmsprung. Nach der Landung sei ihm so schwindelig gewesen, dass er sich übergeben habe. Immerhin erging es ihm besser als einem Freund, der sich bei der Landung ein Auge ausgeschlagen habe. Seine Tochter, so berichtet Pierre weiter, habe den ersten Kinderreisepass Deutschlands ausgestellt bekommen, vom Zoll am Münchener Flughafen. Nun fragt er sich, in welcher US-Serie es diesen Esel Nr. 7 gegeben habe. Er ist sicher, nicht bei Bonanza. Damit hat er schon mal Recht. Es war die US-Serie „Der Mann in den Bergen“. Taxifahrer Josef setzt sich für eine kurze Pause dazu. Besprochen wird die Situation bei Bayern München und ob Oliver Kahn fliegt. Irgendwann lässt sich Pierre von Robert nach Hause fahren. Später werden sich die anderen mehrfach darüber lustig machen, dass Pierre sich, als sie vor einiger Zeit Geld auf den Sieger der Champions League setzten, für Barcelona entschied, obwohl das Team zu dem Zeitpunkt bereits ausgeschieden war. Pierre, falls du das hier liest, sie meinen es nicht böse.
Meine Zeit im Imbiss ist aber noch immer nicht abgelaufen. Ich denke, es müsste schon Abend sein, so viele Leute, wie mir hier schon begegnet sind, aber dann ist es doch erst fortgeschrittener Mittag. Die Parade der Leute, die ich nicht so schnell vergessen werde, geht weiter. Ein alter Mann mit Lacoste-Kappe rollt in seinem weißen Elektromobil heran, darauf ein Aufkleber vom FC St. Pauli, hält, steigt herunter und bestellt. Er kommt gerade von einer Beerdigung, was erklärt, warum er komplett in schwarz gekleidet ist. Dort hat er auch mit den Funkel-Brüdern gesprochen. Schnell waren sie dann beim 7:3 gegen Dynamo Dresden. Auch Hans Georg Pescher bestellt. Pescher, weit über 90, war Stürmer der Meistermannschaft des KEV von 1952, 6:4 damals gegen den SC Riessersee in Mannheim, zwei Tore hat er gemacht, weiß er natürlich noch, erzählt es aber nur, wenn er darauf angesprochen wird. Rainer sagt, er hätte nie erfahren, wer Pescher überhaupt sei, wenn er ihn nicht eines Tages in der Zeitung gesehen hätte.
Und als ob ich nach Eishockey-Meister, Grönemeyer-Buddy und Wurst-Tätowierten nicht schon genug Menschen getroffen hätte, um die herum man jeweils einen Roman bauen könnte, setzt sich noch der junge Student dazu, der wohl erst vor nicht allzu langer Zeit aufgestanden ist. Er ist, wie könnte es auch anders sein, Ghostwriter für bekannte deutsche Rapper. Natürlich darf er nicht sagen, für wen, das ist im Hip-Hop verpönt, wo alles real („real“ bitte englisch aussprechen) sein muss. Ich halte das alles jetzt selbst nicht mehr für so real, dabei habe ich alles genau so erlebt. Mein Vitamin-Speicher ist aufgeladen. Macht’s gut, Leute, und bis bald.