Kirschwein und Schokolade entspannten die Lage schnell

Auch wenn der erste Kontakt rau war, arrangierten sich die Krefelder und ihre Besatzer bald. Das prägt die Erinnerung bis heute.

Foto: N.n.

Krefeld. Am Abend vorher ist die Ungewissheit noch groß: „Was wird wohl aus uns werden, wenn die Amerikaner morgen kommen?“, fürchtet sich die damals 24-Jährige Krefelderin Franziska Richter. Goebbels Propaganda berichtet von schrecklichen Gräueltaten und Massenvergewaltigungen durch die Russen in Ostpreußen und Pommern. Die Meldungen sollen die Kampfmoral der Verteidiger stärken — an allen Fronten.

Doch hinter vorgehaltener Hand werden auch Informationen weitergegeben: „Ängstige Dich nicht, die Amerikaner sollen ganz human sein“, beschwichtigt die Mutter. Zur Sicherheit warten viele Krefelder an jenem 2. März 1945 im Keller ab, was passiert. Der erste Kontakt zwischen den Richters und den Cowboys von der 102. Infanterie-Division fällt denn auch eher schroff aus: „Ein Soldat kam in den Keller, sah meinen 15-jährigen Bruder und schrie: ,Soldat! Soldat!’“, schildert Franziska Richter die Szene. Die Mutter Richter keilte postwendend zurück: „Nix Soldat - my boy!“ Der US-Soldat ließ nicht locker: „Nazi! Nazi!“ Doch auch hier hatte Mutter Richter, die passende Antwort parat: „Nix Nazi. Wir sind katholisch.“

Viele Krefelder empfanden die Hausdurchsuchungen der Besatzer in den ersten Tagen als Zumutung. Sie suchten nach untergetauchten Wehrmachtssoldaten und Nazi-Führern — doch die meisten hatten sich bereits auf die rechte Rheinseite abgesetzt. „Durch alle Zimmer mussten wir die Soldaten führen, die sich neugierig umschauten“, berichtet Lutz Breuning zehn Jahre nach Kriegsende in der Westdeutschen Zeitung.

Doch das Verhältnis zwischen den Krefeldern und den neuen Machthabern entspannte sich täglich mehr. „Wir haben mit den Amerikanern zumindest keine schlechten Erfahrungen gemacht“, sagt Grete Müller heute über die Wochen nach dem 2. März 1945. Das lag vor allem am lockeren und freundlichen Auftreten der Soldaten von der anderen Seite des Atlantiks. Die Versorgung der US-Truppen war gut und die einzelnen Soldaten gegenüber der seit Jahren darbenden Bevölkerung freigiebig. „Vor allem die farbigen US-Soldaten waren sehr kinderlieb und haben immer Schokolade verteilt“, berichten viele Zeitzeugen heute unabhängig von einander über ihre ersten Erfahrungen mit Afroamerikanern.

Krefelder Zeitzeugen

Mit einem mussten die besetzten Deutschen allerdings vorsichtig sein, denn das gab es nicht von der US-Army: Schnaps und Wein. „Die Amerikaner kamen gern zu uns: Wegen meiner Schwester und vor allem wegen des Kirschweins“, sagt Rudolf Bienbeck, „passiert ist aber nie etwas.“ In anderen Fällen wollte man erst gar kein Risiko eingehen. „Die Priester versteckten den Messwein, andere vergruben ihre Flaschen unter den Kohlen im Keller, damit die Soldaten sie nicht finden“, sagt Franziska Richter.

Mit der Zeit bandelten manche „Fräuleins“ mit den fremden Jungs an. Vor allem dort, wo US-Soldaten vorübergehend bei Deutschen einquartiert worden waren. Was dann sogar soweit führte, dass auf Krefelder Platt Spottlieder entstanden, die sich mit der Liaison befassten, aber auch mit der Tatsache, dass dadurch wieder Butter und Speck auf den Tisch kamen, während sich die meisten Familien mit Mais zufriedengeben mussten, wenn sie sich nicht aus dem heimischen Garten versorgen konnten. Geld war nicht mehr das Papier wert, nur wer etwas zum Tauschen hatte, konnte sich selbst gut versorgen.