Senioren Aus dem Altenheim in die eigene Wohnung
Krefeld · Wie Gertrud Kian (70) nach vielen gesundheitlichen Rückschlägen ihren Lebenswillen wiederfand.
Die Geschichte von Gertrud Kian ist eine, wie sie nur das Leben selbst schreiben kann. Sie ist außergewöhnlich und hat ein glückliches Ende. Die heute 70-Jährige war lange Zeit so krank, dass nur noch ein Aufenthalt in einem Altenheim in Frage kam. Dort erholte sie sich. Heute führt die fitte Radfahrerin wieder ein selbstständiges Leben in der eigenen Wohnung und freut sich am Dasein. Dem Altenheim Wilhelmshof hält sie die Treue.
„Ich hätte nie damit gerechnet, dass so etwas wie der Auszug aus dem Altenheim passiert“, berichtet Einrichtungsleiter Frederik Caljkusic. „Nach 25-jähriger Tätigkeit in der Altenhilfe habe ich das noch nie erlebt. Der Umzug ins Heim ist doch der letzte im Leben.“
Nichts habe bei ihrem Einzug darauf hingedeutet, dass sie nun wieder alles selbst regeln kann. „Früher waren kleinste Anforderungen Überforderungen für sie, sie war durch nichts zu motivieren.“
Umzug von Stahldorf
nach Geldern
Zur Geschichte von Gertrud Kian: Sie wuchs in Stahldorf auf, hat später geheiratet und ist mit ihrem Mann nach Geldern gezogen. Dort bekam sie drei Söhne. Doch die Ehe hielt nicht, Kian wurde geschieden und arbeitete in ihrem Beruf als Verwaltungsfachangestellte.
„Als ich 61 Jahre alt war, bekam ich Brustkrebs. Er wurde bei einer Kontrolluntersuchung festgestellt“, erzählt sie. „Ich hatte eine Operation, Bestrahlung und bin bald wieder zur Arbeit gegangen. Ich fühlte mich gut.“
Arzt diagnostiziert
eine Depression
Doch nach einem Jahr fingen die Beschwerden an: „Ich war immer müde, konnte mich nicht konzentrieren, und auch ein Urlaub brachte keine Erholung. Ich hatte mit Kunden in Hartz IV zu tun, es war oft schwierig. Später ging gar nichts mehr.“
Der Arzt hat dann eine Depression diagnostiziert und Kian krankgeschrieben. Doch die Medikamente machten sie müde. Bald hat sie nur noch gelegen. Als sie nicht mehr aß und trank, ergriff ein Sohn die Initiative und brachte sie in eine Klinik. „Dort sagte man, dass es mir bald besser gehen würde. Doch es ging immer mehr bergab“, erinnert sich die heute 70-Jährige. „Ich kam in eine Wohngruppe für psychisch kranke Menschen. Dort wurde viel von uns verlangt: waschen, kochen, Frühstück zubereiten. Das konnte ich alles nicht mehr und kam dann für drei Monate in die Klinik der Alexianer.“
Danach wollte die damals 66-Jährige nicht mehr in die Wohngruppe. Sie zog in ein Doppelzimmer ins Altenheim Wilhelmshof. „Hier ging es mir die erste Zeit sehr schlecht, ich lag nur im Bett. Doch die Menschen hier waren liebevoller, stellten nicht so große Anforderungen. Ich führte ein Leben ohne Spiegel, konnte mich nicht mehr sehen.“
Sie will und bekommt eine gesetzliche Betreuerin
Kian wollte keinen Besuch mehr, ihre Söhne sollten sie nicht so erleben. Sie wollte und bekam eine gesetzliche Betreuerin. Ein Gespräch mit dem Neurologen brachte dann die Wende. „Ich habe ihm erklärt, dass mir die Medikamente nicht helfen, sondern mich nur müde machen. Wir haben sie langsam reduziert, und ebenso langsam kam mein Lebenswille wieder. Nachdem ich mit dem Leben sozusagen abgeschlossen hatte, wurde ich nun aktiver, hatte plötzlich Lust, in den Garten zu gehen und mich hübsch anzuziehen. Die Sachen waren ja noch da. Ich bekam ein Einzelzimmer und nahm hier im Heim sogar am Kraft-Balance-Training teil. Schließlich fuhr ich an einem Tag alleine in die Stadt.“ Es war geschafft.
Da die Busfahrten auf Dauer zu teuer waren, verhalf der Sohn ihr zu einem Fahrrad, das sie alleine mit dem Zug von Geldern nach Krefeld brachte. „Nach dieser Herausforderung war klar, es geht noch mehr“, sagt die sympathische Frau und lacht. „Anfang 2018 wusste ich nach dreijährigem Aufenthalt, ich war zu gut fürs Heim. Ich schaffte alle Behördengänge, brauchte keine Betreuung mehr. Seit April bin ich wieder ein komplett handlungsfähiger Mensch und habe eine sehr schöne Wohnung im Bockum. Dort hat meine kleine Enkelin Sania (7) schon bei mir geschlafen. Bald will ich wieder Sport treiben.“