Archäologie Linn konnte es mit Amsterdam aufnehmen

Linn · Der Krefelder Archäologe Patrick Jülich hat die Entstehung und das Leben in der Stadt detailreich nachgezeichnet.

Patrick Jülichs Auswertung sei wie ein Puzzle aus „100 000 Teilen auf fünf Ebenen“ sagt Jennifer Morscheiser, Leiterin des Museums Burg Linn.

Foto: Lothar Strücken

Es ist ein Werk, das Jennifer Morscheiser als „Meilenstein für Linn“ bezeichnet. Hans-Peter Schletter nennt die zwei Bände umfassende wissenschaftliche Arbeit von Patrick Jülich „eine wunderbare Aufarbeitung“ für die Stadtkernforschung im Rheinland. Morscheiser, Leiterin des Museums Burg Linn, und der Stadtarchäologe Schletter drücken in ihren Worten eine große Bewunderung aus für den Krefelder, der sich da in den vergangenen Jahren um kleinteilige Funde und deren Auswertung im historischen Ortsteil Linns verdient gemacht hat. Nun hat er sein Nachschlagewerk „Die Archäologie der spätmittelalterlichen Stadt Linn“ veröffentlicht und Ergebnisse am Mittwoch in der Museumsscheune in Sichtweise der Burg vorgestellt. „Es ist eine Flut von Einzelergebnissen. Keine Stadt im Rheinland ist bisher so detailreich nachgezeichnet worden“, sagt Schletter.

46 Maßnahmen hat Jülich in seine Analysen einfließen lassen

Die Stadtentstehung hat Jülich in drei Phasen unterteilt, von einer Initiierung in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, über eine Entwicklungs- und Aufbauperiode bis etwa 1425, und eine Konsolidierungs- und Ausbauphase bis etwa 1600. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung der Infrastruktur und Landschaft seit der Gründung um 1300. Ob es Graf Dietrich VIII war, der die Ortschaft ins Leben rief, ist in der Forschung allerdings umstritten. Patrick Jülich hat den Adeligen aber dafür stark im Verdacht.

Insgesamt 46 Maßnahmen, von Funden, Bohrungen bis zu Bauaufnahmen, hat der 49-jährige Krefelder in seine Analysen einfließen lassen. Sechs Jahre allein hat er für die gesamte Auswertung inklusive der wissenschaftlichen Arbeit und Niederschrift benötigt. Entlang des alten Kanals des Mühlenbachs hat er unter anderem Entsorgungsreste ausgegraben und anhand des Mülls auf den Sachbestand Linns um diese Zeit geschlossen, das Marktgeschehen rekonstruiert. Ein wichtiger Schlüssel. Zum Beispiel sind es Schuhe, die Rückschlüsse auf das Leben der Menschen damals ermöglichen. Aber auch Knochen, Holzgefäße, Obst, Leder und Keramik sowie botanische Altuntersuchungen lagen in seinem Interesse. Überraschend war für ihn, wie ein gewisser Wohlstand oder gehobene Lebensverhältnisse wohl schon in Linn Einzug gehalten hatten: „Es war eine kleine mittelalterliche Stadt. Die Qualität der Sachbestände aber ist vergleichbar mit denen in großen Städten wie Lübeck oder Amsterdam.“

Die Lage Linns beschreibt er als sehr gut. Verkehrsanbindungen waren vorhanden. Erst seien die Straßen durch den Ort noch Matschbahnen gewesen, erst im 14. Jahrhundert seien diese mit Kies befestigt worden. Auch ist Jülich der Frage nachgegangen, ob die Kirche einen Turm hatte oder nicht. In dieser Frage schieden sich bisher die Geister der Wissenschaftler. Der Krefelder aber ist heute davon überzeugt, dass es einen solchen Turm gab, wenn auch nicht hoch aufragend.

Eine Stadtmauer, die um 1366 errichtet worden sei, habe den Belagerungen bis ins 15. Jahrhundert standgehalten. Gesprungenes Glas, das der Krefelder Archäologe im Linner Boden gefunden hat, lässt ihn vermuten, dass es sich dabei um Kristalle aus den Fenstern der alten Kirche handelt. Er führt die Zerstörung der Fenster auf Angriffe der Hessen im frühen 17. Jahrhundert zurück.

Es ist ein Nachschlagewerk
für Museumsführer

Hans-Peter Schletter sieht in dem Werk einen enormen Zugewinn für die Stadtkern-Forschung: „Die hohe Bedeutung liegt darin, wie sich eine Gründungsstadt bis in die frühe Neuzeit entwickelt. Man hat nun mit diesem Werk schnelle Zugriffe auf die Ergebnisse.“ Institutsleiterin Jennifer Morscheiser verwies bei der Präsentation auf die sehr komplexen und vielschichtigen Fachthemen, die dem Krefelder bei seiner Arbeit begegneten: „Eine umfangreiche Materialanalyse war notwendig.“ Diese Auswertung, das sei wie ein Puzzle aus „100 000 Teilen auf fünf Ebenen.“ Jeannine Moens, Vorsitzende des Vereins der Museen Burg Linn, die Führungen durch die Linner Altstadt anbieten, hob den Wert des Buches auch für sie selbst heraus: „Es ist ein Nachschlagewerk für Museumsführer.“