Historie Preußenkönig schickt Soldaten gegen Torfdiebe los

Krefeld · Streit um Brenn- und Heizrohstoff wegen unklarer Staatsgrenzen.

Ein Torfstecher bei der Arbeit.

Foto: Stadt Krefeld/Die Heimat

Dichtes Gehölz, Heide und sumpfige Niederungen bildeten im Hülser- und Kliedbruch noch vor rund 200 Jahren einen idealen Lebensraum für Wildpferde, Wildschweine und Wölfe. Menschen siedelten dort nicht. Einzig Verbrecherbanden suchten und fanden im Bruch einen bevorzugten Unterschlupf. Denn am Waldwinkel, der „Wilden Niep“ oder auch „Klied“ genannt, trafen die „Staatsgrenzen“ der Herrlichkeit Krefeld als Teil der Grafschaft Moers mit dem Herzogtum Geldern und Kurköln aufeinander, so dass sich die Diebe und Räuber bei Gefahr schnell in ein anderes Territorium absetzen konnten. Im Bruchgebiet stachen aber auch Menschen aus allen drei Gebieten in den verlandeten Rheinarmen wie den heutigen Niepkuhlen Torf ab, den sie als Brenn- und Heizmaterial nutzten. Wegen des Rohstoffabbaus kam es seit dem 17. Jahrhundert zum Streit, manchmal sogar zu Militäreinsätzen an den Landesgrenzen.

 Niep bedeutet so viel wie „torfiger Sumpf“

Ausgehend vom südöstlichen Latumer, dem Dießemer, dem Klied- bis zum nördlichen Hülser Bruch durchzog einst ein großes Feuchtgebiet die heutige Stadt. Dadurch schlängelten sich auch immer wieder Nebenarme des Rheins, die nach Hochwasser vom Hauptstrom abgenabelt wurden. Sie versumpften, schließlich verlandeten diese Seitenarme, die sich aber manchmal als Flurname erhalten haben. Die Niepkuhlen bilden heute den noch erkennbarsten alten Flusslauf, aber nur, weil im 17. Jahrhundert und später dort Torf abgebaut wurde. Die Kette der Niepkuhlen beginnt im Sollbrüggenpark und zieht sich den Niederrhein hoch. Niep bedeutet so viel wie „torfiger Sumpf“. Kuhlen, Kullen, Kaulen meinen Gruben, die von Menschen ausgegraben wurden und teils mit Wasser gefüllt sind. „Clyt“ steht für Klied und meinte entweder Klei (fette Erdart), Tonerde oder getrockneten Torf.

Klied- und Hülser Bruch wurde seinerzeit von Kurkölnern und Krefeldern genutzt, gleiches gilt im Westen des kurkölnischen Linn im Bereich zum Dießem. Auch dort wurden Torfgruben ausgebeutet. Obwohl es sich in beiden Fällen rechtlich um Kurkölner-Gebiet handelte, blieb es stets ein Problem, die Grenzen in diesem Busch- und Waldgebiet klar zu definieren. Einige Bereiche wurden traditionell als Gemeinbesitz bezeichnet, also für alle nutzbar. Da es geradezu ein sportliches Unternehmen der Untertanen war, von Zeit zu Zeit die Grenzsteine zum jeweils eigenen Vorteil zu versetzen, bot der Torfabbau immer wieder Anlass für Streit. Dieser gewann mit dem Regierungsantritt 1713 des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. (1688 - 1740) an Schärfe. Die Grafschaft Moers und die Herrlichkeit Krefeld gehörten zum protestantischen Preußen. Der konfessionelle Gegensatz zum katholischen Kurköln mag ein Grund für diese fragwürdige Eskalation gewesen sein.

„Kölner“ stehlen Torf
auf Moerser Gebiet

So beschwerten sich Bewohner aus Vluyn und Kapellen im Mai des Jahres 1717 beim Drosten von Moers, einem Baron von Kinsky, dass ihnen das Torfgraben im Kliedbruch verboten worden sei und die „Kölner“ den Torf komplett für sich in Anspruch nähmen. Und dann stehlen die „Kölner“ auch noch Torf auf Moerser Gebiet. Die so entstandenen Löcher seien inzwischen eine Gefahr für das weidende Vieh. Die Beschwerde blieb nicht ohne Wirkung: Im Juli des Jahres erhielt Baron von Kinsky die königliche Order, mit so vielen Soldaten aus der Moerser Garnison wie notwendig gegen die kölnischen Torfgräber vorzugehen. Zudem wurden die Bewohner der beiden Dörfer aufgefordert, sich mit Gewehren, Gabeln und so weiter zu bewaffnen.

Das Heer aus Bauern und rund 100 Soldaten zog am 26. Juli 1717 gegen die Torfräuber aus. In flagranti erwischte die militärische Übermacht drei Männer, als sie mit Pferdekarren Torf abtransportieren wollten. Das Trio wurde verhaftet und nach Moers gebracht. Man ließ sie jedoch recht bald wieder frei. Danach setzten sich Preußen und Kurkölner in Uerdingen und Hüls an einen Tisch, doch man machte sich lieber gegenseitige Vorwürfe: Die Kölner behaupteten, dass mal 100 oder gar 1 000 Morgen Torf von ihrem Territorium abgestochen worden seien.

Der Überfall der Soldaten auf das „Torfräubertrio“ habe zudem auf Kölner Gebiet und nicht in Moers stattgefunden, was von den Preußen natürlich vehement abgestritten wurde. Der Dauerkleinkrieg um den Torf setzte sich also fort und wurde mal mit Beschlagnahmungen, Gefangennahme, Misshandlungen, Erpressung von Lösegeld und Zerstörungszügen geführt: Die Moerser stahlen den Kurkölnern beim Torfstechen mal ihre Nachen (Kähne), die sie für den Abbau auf dem Wasser benötigten. Einmal verabreichten Kurkölner einigen Moersern eine kräftige Tracht Prügel.

Dabei wurde, so ist es überliefert, ein Hermann Reiners elendig verhauen, man zerschnitt ihm seinen Hut und nahm ihm die Schippe ab. Ein anderes Mal kamen 300 Kölner zusammen, um einen angeblich von den Moersern versetzten Grenzstein wieder an seine alte Stelle zu bringen. Obwohl auch immer wieder Soldaten in diese Aktionen und Scharmützel eingriffen, kam es nicht zu einem regelrechten Gefecht.

Streit endet mit Vertrag auf Schloss Neersen

Die Streitigkeiten endeten letztlich im September des Jahres 1726: Ein auf Schloss Neersen bei Willich von preußischen Kommissaren unterschriebener Vertrag wurde anschließend vom Kölner Kurfürsten, dem Kölner Domkapitel und vom preußischen König bestätigt. In dem bestehenden Allmendegebiet bestand fortan ein generelles Verbot, Torf zu stechen. Wer dennoch erwischt werden sollte, wäre sofort verhaftet worden. Das Torfstechen im Kliedbruch war nur noch in der Form erlaubt, dass abwechselnd von beiden Seiten bestimmte Areale im Bruch zum Austorfen freigegeben wurden. Im Jahr 1729 begann man, neue Grenzsteine zu setzen. Einige dieser Grenzsteine stehen laut der Stadt in der heutigen Zeit noch an ihrem Platz.