Krefelds Orte der Stille

Am Feiertag besinnen sich Gläubige auf Gott. Dabei ist Stille nicht nur ein Geschenk, man muss sie auch aushalten können. Drei Besuche.

Foto: Dirk Jochmann

Friedlich. Nur schwer zu ertragen. Laut. Leise. Erholsam. Beklemmend. Heilend. Stille kann Vieles sein — aber nicht jeder kann still sein.

Foto: Dirk Jochmann

Kerzengerade, mit geschlossenen Augen und im Schoß aneinandergelegten Händen sitzt Schwester Alfonsa auf dem Stuhl in der Klara Kapelle im Mutterhaus der Krefelder Franziskus-Schwestern. Die Frühlingssonne fällt durch das schräge Fenster auf ihr weißes Haar und taucht den kleinen Raum in warmes Licht. „Wenn ich Stille erfahren will, muss ich Stille wollen“, hatte sie zuvor im Gespräch erklärt. Im stillen Gebet, ihrem Zwiegespräch mit Gott, sieht die Ordensfrau ziemlich zufrieden aus.

Foto: Dirk Jochmann

Schwester Alfonsa

Die heute 79-Jährige war 24, eine junge Frau, als aus Christa Schwester Alfonsa wurde. „Weil Gott es so wollte“, sagt sie. „Er beschenkt mich mit innerem Frieden und gibt meinem Leben einen Sinn. Es ist ein Geschenk, so leben zu dürfen.“ Stille, die Besinnung auf Gott, ist ein wesentlicher Bestandteil dieses Lebens. Stille — ein Wort mit vielen Eigenschaften, das für gläubige Christen dieser Tage eine besondere Bedeutung hat.

Jetzt in der Karwoche sei Jesus den Menschen besonders nah, glaubt Schwester Alfonsa, „er ist für uns gestorben“. Ihrer Trauer darüber geben Christen weltweit an Karfreitag Ausdruck. An diesem stillen Feiertag, dem Freitag vor Ostern, gedenken sie der Kreuzigung Christi. „All die Schmerzen und Verachtung. Jesus hat das alles auf sich genommen, um uns von unseren Sünden zu befreien“, sagt Schwester Alfonsa. „Das ist so etwas Großes und Tiefes, das braucht Ruhe und Besinnung.“

Allerdings: Stille auszuhalten will gelernt sein. „Das geht nicht in fünf Minuten“, betont die Nonne und zieht ein Buch mit dem Titel „Zeit — Der spirituelle Fastenbegleiter“ aus dem Regal. Auch wenn sich die Zeit in einer von Rastlosigkeit bestimmten Welt nicht anhalten lasse, so könne man doch „in der Zeit Ankerplätze finden, entschleunigen und innehalten“, glaubt der Autor. „Ein entsprechender Raum ist oft eine große Hilfe, Stille zu erfahren“, davon ist Schwester Alfonsa überzeugt.

Die Klara Kapelle ist so ein Raum. Besucher kommen zum „Oasen-Tag“ oder „Kloster-Wochenende“ in das unscheinbare Kloster im Haus Mariae Heimsuchung am Jungfernweg, Mitten in der Innenstadt, das kein Kirchturm, kein Kreuz als solches verrät. In der Kapelle wollen sie „einfach mal zur Ruhe kommen, abschalten“, dich selbst in der Stille zu hören, wichtig zu nehmen: Wer bin ich eigentlich, durch wen — und wozu? Wofür kann ich dankbar sein? Wer Stille zulassen könne, der finde auch Antworten, daran glaubt die Ordensschwester fest. Die Flucht in die Stille allerdings gelinge den wenigsten. „Verletzungen in der Partnerschaft, Ärger im Job: In der Stille kommt das hoch, was uns belastet. Hier darf es an die Oberfläche.“

Seit 1983 lebt die 79-jährige Ordensfrau im Krefelder Mutterhaus der Franziskus-Schwestern — im nächsten Jahr feiert der Orden sein 100-jähriges Bestehen. Als Altenheim nach dem Krieg erbaut, wurden am Jungfernweg bis zum Sommer vergangenen Jahres noch Senioren im damaligen Anna Deckers Haus in der Kurzzeitpflege betreut. Dieser Tage ist es leerer geworden. Sechs Ordensschwestern leben heute noch im Kloster. „Es war immer schon ein Gästehaus für Menschen, die stille Besinnung suchen“, sagt Schwester Alfonsa und verabschiedet sich mit den Worten: „Vergessen Sie nicht, Gott liebt Sie.“

In Gerlinde Elstermanns Raum der Stille gibt es kein Kreuz, keine Heiligenfiguren, aber viele Bücher — auch die Bibel. Im schlichten Leseraum der Christlichen Wissenschaft an der Dießemer Straße begibt sich Elstermann auf die Suche. „In der Stille bin ich mir der Macht und Gegenwart des Herren bewusst, die Stille hilft uns dabei, Gott zu verstehen“, glaubt die pensionierte Lehrerin. Heute unterrichtet sie in der Sonntagsschule die Lehren Mary Baker Eddys, die ihre Erkenntnis aus Jesu Heilungen unter dem Titel „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ niederschrieb und 1879 in Boston die Christliche Wissenschaft gründete. Die heute weltweite Glaubensgemeinschaft, zu deren Mitgliederzahl es keine offiziellen Angaben gibt, stützt sich neben den Lehren Eddys auf die Lutherbibel, verzichtet aber auf hauptamtliche Geistliche, wie Elstermann erklärt. „Unsere Pfarrer sind die Bücher, die Bibel und das Lehrbuch.“

Auch deshalb sei der Leseraum an der Dießemer Straße als Raum der Stille von zentraler Bedeutung: „Oft hilft es, aus dem Alltag heraus an einen Ort zu gehen, an dem äußere Umstände keine Rolle spielen. Hier können Besucher ihre Gedanken mit Gott verbinden und so Ruhe und inneren Frieden empfinden.“ Auch ein Spaziergang, Musikhören oder einfach mal das Handy stumm zu schalten, seien Möglichkeiten, Stille — losgelöst von einem besonderen Ort — zu erleben.

Wenn er in Stille beten möchte, zieht sich Volodymyr Soroka in die Kapelle der ukrainisch-orthodoxen Kirchengemeinde Maria Schutz auf der Maria-Sohmann-Straße zurück und zündet eine Kerze an. „Wenn man still ist, kann man sich besser mit Gott verbinden und seine Seele hören. Die Stimme der Seele ist im Alltag sehr leise,“ sagt der 34-jährige Erzpriester aus der Ukraine. In der siebenwöchigen Fastenzeit vor Ostern ist das sternförmige Kirchenschiff mit schwarzen Trauertüchern geschmückt, die Kreuzigungsgruppe zeigt den leidvollen Tod Christi am Kreuz. An diesem Abend ist es leer in der Kirche, die Stille tut gut. Zum orthodoxen Ostergottesdienst am 8. April (siehe Box) wird es voll sein. Mit bis zu 100 jubelnden Gläubigen rechnet Erzpriester Soroka.

Bevor er vor neun Jahren nach Krefeld kam, um sein geistliches Amt neben dem Job als Elektroniker auszuüben, habe er Gottesdienst in der Andreaskirche in Kiew gefeiert. „Ich habe keinen Weg nach Krefeld gesucht“, sagt Soroka, trotzdem seien er, seine Frau und die zwei Söhne hier glücklich. „Das hier ist kein Beruf, sondern meine Berufung.“