Blaues Haus: Die Lust am finalen Exitus
Das Hülser Theater wagt das Experiment und zeigt „Der wunderbare Massenselbstmord“ — gekonnt und mit wahrer Spielfreude.
Krefeld. Wie alle guten Satiriker hat der Finne Arto Paasilinna seine Landsleute durchschaut. Er weiß um die Schwermut, die sie im langen kalten Winter befällt und die sich im lichten Sommer als lustvolle Melancholie Bahn bricht, wenn der Finne eins wird mit der Natur, den Mücken und dem Schnaps. Das Grundgefühl lautet: Das Leben ist beschissen — wenn es nicht so unglaublich schön wäre.
Paasilinnas Roman „Der wunderbare Massenselbstmord“, der jetzt im Theater Blaues Haus auf die Bühne kam, handelt von diesem Gefühl: Er erzählt von einer Gruppe depressiver Finnen, die sich gemeinsam umbringen möchten und dabei richtig Spaß bekommen. Sie verschieben den Exitus und reisen durch Europa. Logistisch scheint der Plot auf einer Bühne kaum umsetzbar, es sei denn, man beherrscht die Mittel und Möglichkeiten des Puppentheaters nahezu im Schlaf und füllt den unlösbaren Rest mit purer Spielfreude aus. Mit Regisseurin Friederike Krahl und dank finanzieller Förderung, unter anderem durch das Kulturbüro und die Kulturstiftung der Sparkasse, gehen Stella Jabben und Volker Schrills an die Grenzen ihres kleinen Theaters und darüber hinaus. Der Berliner Ewald Otto hat die Bühne mit Requisiten wie Grill und Servierwagen für eine Party hergerichtet. Entsprechend fröhlich erzählen Jabben und Anne Swoboda vom Partnertheater 7schuh als angetrunkene Finninnen die Rahmenhandlung, leider in einem wenig geglückten Akzent, der wie eine Mischung aus Bayerisch und Russisch klingt. Für den eigentlichen Plot liegen Puppen unterschiedlicher Größe bereit: Kleine Figuren, Spielzeugsoldaten ähnlich, werden an dünnen Stangen geführt und per Kamera auf eine Leinwand projiziert. Größere Handpuppen, liebevoll als schrullige Charaktere gestaltet, übernehmen längere Dialogszenen. Das Wechselspiel fasziniert, die Übergänge funktionieren ohne jede Verwirrung. In den kleinen Umbaupausen hält Peter Dirkmann mit seiner Musik die Atmosphäre fest.
Bei aller technischen Qualität hätte die Inszenierung leicht scheitern können, wenn sie Paasilinnas Buch als Farce begriffen hätte, als bloßes Skurrilitätenkabinett. Doch wie in den Filmen von Aki Kaurismäki ist Absurdistan auf Traurigkeit gebaut, und im Lachen liegt auch immer ein Wundern über die Seltsamkeit des Lebens. Als einer von Paasilinnas Selbstmördern sich erinnert, wie er als Siebenjähriger mit den Eltern in der Sauna war und selbst den Aufguss machen durfte, klingt das wie der Inbegriff von Glück und das Geheimnis neuen Lebensmuts: Selbst im kältesten Winter steht irgendwo ein Ofen, der dich wärmt. Alle weiteren Termine bis Mai sind bereits ausverkauft. Info unter Telefon 566 25 67.