Der Jäger und Sammler
Rüdiger K. Weng ist einer der erfolgreichsten Kunsthändler des Landes. Wie tickt der Krefelder, der über Nacht zum Börsenstar wurde?
Krefeld. Der Junge ist anders als die anderen. Während seine Klassenkameraden die Schulbank drücken, fährt er zur Düsseldorfer Börse und handelt mit Aktien. Als er 14 Jahre alt ist, kauft er die ersten Papiere: Hoesch, VW, Krupp. Er verkauft sie mit Gewinn und hat als 19-Jähriger schon ein kleines Vermögen verdient. Parallel legt er trotz seiner Fehlstunden ein Einser-Abi hin, aus sportlichem Ehrgeiz, wie er sagt.
Mit 21 gründet er seine erste Firma, ein Handelsunternehmen für historische Wertpapiere und Finanzdokumente. Bald liegt der Umsatz bei einer Million Mark, wenige Jahre später ist er Marktführer. Auf dem Gipfel angekommen, sucht er sich neue Ziele. Ihn reizt der vielleicht schwierigste Markt überhaupt: Kunst — wo Gewinn und Verlust mehr mit Emotion zu tun haben als mit tatsächlichen Werten.
Als er beschließt, es zu versuchen, ist er Anfang 30. Er hat keine Kontakte und keine Erfahrung, kennt keine Käufer und keine Verkäufer. Doch er saugt die Kerndaten des Marktes in sich auf: Künstler, Werke, Preise, Entwicklungen. Nichts schreibt er auf, es ist alles in seinem Kopf gespeichert. Aus den Gelben Seiten sucht er sich Auktionshäuser und Kunsthändler. Wenn er kauft, holt er die Bilder selbst ab, mit einem gemieteten Transporter. Sie stapeln sich bei ihm zu Hause, im Keller, im Wohnzimmer, im Schlafzimmer, sogar im Bad.
Das Geschäftsmodell ist einfach und doch ungeheuer schwierig: Günstig einkaufen, teuer verkaufen. Es funktioniert. Zuletzt bringt er es auf einen Umsatz von rund acht Millionen Euro. Der Gewinn steigt 2012 um 112 Prozent auf rund 2,4 Millionen Euro.
Der Mann sagt: „Geld als solches hat mich nie interessiert.“ Rüdiger K. Weng, einer der erfolgreichsten Kunsthändler des Landes, sitzt im Jeanshemd am Tisch, die Haare fallen ihm wirr in die Stirn. Als Chef der Weng Fine Art AG trifft er viele reiche Menschen, aber er selbst sieht nicht aus wie einer. Geld verdient er, um es wieder zu investieren oder seine eigenen Sammlungen auszubauen. Nicht den Reichtum liebt er, sondern den Handel. Die Geschäfte sind Mittel zum Zweck, weil sie neue Geschäfte ermöglichen — das war immer so.
Als Sechsjähriger fing Weng an, Briefmarken zu sammeln. „Der Tag, an dem der neue Michel-Katalog herauskam, das war wie der Launch des neuen Apple-Computers“, sagt er. Schon damals kaufte er günstig ein, um teuer zu verkaufen. Er verschaffte sich einen Wissensvorsprung und nutzte ihn aus — Postwertzeichen sorgten für die Geburtsstunde des heutigen Geschäftsmodells.
Später kamen Münzen hinzu, seltene Autographen, historische Wertpapiere und Finanzdokumente. In diesem Sektor besitzt Weng heute eine der bedeutendsten Sammlungen der Welt. Ihm gehören Aktien mit der Unterschrift John D. Rockefellers, Richard Wagners Signatur unter den Anteilsscheinen des Bayreuther Festspielhauses oder Unterschriften von Goethe und Isaac Newton. Für ihn ist das Wirtschaftsgeschichte zum Anfassen.
Keins dieser Stücke möchte er je verkaufen — der Händler und der Sammler sind zwei verschiedene Persönlichkeiten. „Ich kann da schizophren sein“, sagt Weng. Als Händler trifft er 500 rationale Entscheidungen am Tag. Er weiß genau, wie weit er gehen kann, und steigt aus, sobald der Preis zu hoch wird. Als Sammler muss er die Kontrolle ausschalten. „Wenn man etwas unbedingt will, wirft man die Vernunft über Bord“, sagt Weng. „Deshalb handele ich nicht das, was ich sammle.“
Das gilt auch für die Kunst. Privat besitzt der heute 50-Jährige eine imposante Kollektion mit fast 500 Werken der Krefelder Künstler Adolf Luther und Herbert Zangs. Außerdem gehört ihm die Nadour Collection, eine bedeutende Sammlung zeitgenössischer arabischer Kunst, deren Werke er weltweit ausleiht, unter anderem an die Tate Gallery und das Centre Pompidou.
Weng sammelt nur, was ihn persönlich interessiert. „Die Ästhetik der Kunst steht bei mir nicht an erster Stelle, eher der Künstler und seine Geschichte.“ Die arabische Welt hat er kennengelernt, als er sie im Auftrag des Kulturministeriums von Abu Dhabi bereiste, Zangs traf er während seiner Banklehre in Krefeld. „Im Keller stand ein großer Kopierer, den er für seine Kunst benutzte. Regelmäßig ging er mit seinem zotteligen Bart an mir vorbei. Irgendwann habe ich ihn einfach angesprochen.“
Die Banklehre war der finale Kompromiss zwischen ihm und seinen Eltern. Sie wollten, dass er Medizin studiert, er entschied sich für Betriebswirtschaftslehre. Nach zwei Semestern brach er ab: „Ich fand das Studium kindisch.“ Die Eltern sagten: „Du musst irgendwas in der Tasche haben.“ So landete Weng bei der Bank. „In meiner Vorstellung waren das heilige Hallen. Nach zwei Wochen wusste ich es besser. Ich habe die Bank als Gefängnis empfunden, manchmal als Affenstall. Doch im Nachhinein war die Ausbildung wertvoll für mich.“
Für einen Azubi genoss Weng viele Freiheiten, denn gleich zu Anfang hatte er für das Ende des dritten Lehrjahres seine Kündigung eingereicht. „Von dem Moment an hat sich niemand mehr um mich gekümmert.“ Wie schon in der Schule machte er sein völlig eigenes Ding: „Ich bin kein sehr geselliger Typ.“
Als Vorbild nennt Weng ohne Zögern den Apple-Gründer Steve Jobs und den Archäologen Heinrich Schliemann. Akribisch buddelt sich der 50-Jährige im Firmensitz an der Kimplerstraße durch die Schichten des weltweiten Kunstmarktes, oft bis tief in die Nacht. Sein Schlafbedürfnis, sagt er, habe er schon früh minimiert — zurzeit braucht er etwa vier bis fünf Stunden. Wenn er frei hat, ist er oft in Paris bei seiner Lebensgefährtin, einer Kunst-Auktionatorin aus Korsika, und ihrem gemeinsamen Sohn.
Gearbeitet, sagt er, habe er noch nie in seinem Leben. Sammeln und Handeln sind für ihn eine Leidenschaft. „Der darf ich bis heute nachgehen.“ Selbst die ersten Briefmarkenalben hat er noch zu Hause.