Die Hüterin der schönen Dinge

In Brigitte Tietzel hatte das Textilmuseum eine konsequente und leidenschaftliche Direktorin. Donnerstag ist ihr letzter Arbeitstag.

Krefeld. Diese letzten Tage sind seltsam, fast ein bisschen surreal. Drei Jahrzehnte war Brigitte Tietzel dem Textilmuseum verbunden, ihr halbes Leben lang. Zehn Jahre hat sie es geleitet. Am Donnerstag ist ihr letzter Arbeitstag, die Regale in ihrem Büro sind fast leer, die Frauen, mit denen sie seit Ewigkeiten arbeitet, schauen sie anders an als sonst. Wer da nicht wehmütig wird, muss tot sein.

Trotz mancher Enttäuschung hat Brigitte Tietzel diese Aufgabe geliebt, und sie war die Idealbesetzung dafür. Es mag modernere Museumsmacher geben als sie, aber es gibt wenige, die neben Kenntnis und Klugheit so viel Leidenschaft für ihr Fach ausstrahlen. Tietzel weiß, dass sie mit Textilien nie zur Quotenkönigin wird, aber sie tritt hartnäckig für ihre Sache ein: "Wir können den Leuten nicht nur nach dem Mund reden und zusehen, wie das Niveau sinkt", sagt sie.

Textilien sind für Brigitte Tietzel viel mehr als Stoff, mehr als Sinnlichkeit und Ästhetik. "Sie verkörpern unsere Tradition und Geschichte, die Kultur unserer Vorfahren. Uns darf doch nicht egal sein, wo wir herkommen." Gerade die Historie Krefelds ist ohne Textilindustrie und Seidenbarone kaum darstellbar. Dass die Stadt dieses Erbe sträflich vernachlässigt, das Textilmuseum finanziell austrocknen lässt, hat Tietzel oft beklagt, sie will nicht mehr in der Wunde rühren.

"Ich hatte die Einsicht, dass ich den großen Wurf in meiner Zeit nicht mehr schaffe. Aber eins ist klar: Wie es jetzt läuft, kann es nicht mehr weitergehen." 30 Jahre ist das Museum unverändert geblieben: "Die Welt hat sich weitergedreht. Wir müssen uns auf neue Besucher einstellen."

Für Kinder und Jugendliche sei der Kontakt mit der Vergangenheit besonders wichtig: "Viele glauben doch, sie seien irgendwann vom Himmel gefallen. Und Textilien kennen sie nur als Gebrauchsgegenstände." Tietzel hat die Zeit noch selbst erlebt, als Kleidung wertvoll war und in Ehren gehalten wurde. Dass sie heute in Billigläden für ein paar Cent zu haben ist, findet sie gruselig: "Da gucke ich nicht hin. Das ist so unanständig, wie für einen Euro nach Stockholm zu fliegen."

Dass mancher sie für altmodisch halten könnte, stört Brigitte Tietzel nicht, vielleicht sieht sie das sogar als Teil ihrer Aufgabe. "Fortschritt ist schön und gut, aber es ist auch unglaublich, wie viel wir verloren haben." Muße für Handarbeit zum Beispiel, ein Sinn für die schönen Dinge, Freude an der Langsamkeit. "Wir bewahren das, was sonst verloren ginge. Und wenn es sein muss, reden wir uns dafür den Mund fusselig." Nach ihrer Meinung sollten Schulklassen zum Besuch im Textilmuseum verpflichtet werden: "Wenn sie erst mal hier sind, sind sogar die gefangen, die sonst nur vor dem Computer sitzen."

Gefangen ist auch Tietzel, und entsprechend schwer dürfte es ihr fallen, nun loszulassen. "Ich werde mich aus dem Haus zurückziehen und erst mal Abstand gewinnen", verspricht sie. Den Rest des Jahres will sie ihre neue Freiheit genießen, keinen Wecker stellen, sich in Ruhe in Bücher vertiefen, ohne jeden Satz dreimal lesen zu müssen. Für 2011 hat sie Pläne und Ideen, reden will sie noch nicht darüber. Man wird von ihr hören - ein Glück für Krefeld.