Forscher auf Fantasie-Safari: Um die Ecke beginnt die Welt
Zur Spielzeiteröffnung zeigt das Kresch in 40 wunderbar verspielten Minuten, wie Kindertheater geht.
Krefeld. Um die Ecke liegt das Unbekannte. Ein großes, knurrendes Tier, das gern Knusperkekse isst. Ein dunkles Versteck, eine Matschgrube, die Tiefsee, vielleicht sogar das Weltall. So muss es sich anfühlen wieder Kind zu sein — wenn um die Ecke nicht die immer gleiche Häuserreihe wartet, sondern stets das nächste Abenteuer. Wenn die Welt noch voller weißer Flecken ist, die man mit Fingerfarbe bunt anmalen kann.
Das Stück „Um die Ecke“ von Bernhard Studlar, mit dem das Kresch am Sonntag seine Spielzeit eröffnet hat, schafft das Beste, das Kindertheater schaffen kann: Es lässt Vierjährige staunen und verwandelt 38-Jährige wieder in Vierjährige. Die abgegriffene Phrase von den Kinderaugen, mit der wir die Welt sehen können, sollen oder dürfen, hier wird sie für 40 Minuten auf wundersame Weise wahr.
Das liegt an Sebastian Thrun und Angelo Enghausen-Micaela, die sich mit unbändiger Energie und Spielfreude in ihre Rollen werfen. Was sie verkörpern, darüber geben am ehesten die Kostüme von Jutta Plass Aufschluss: beige Hosen und Hemden, Sonnenhüte, Fernrohr. Die Zwei sind Forscher auf Fantasie-Safari. Es ist einer der Ausflüge, nach denen man Kinder komplett in die Waschmaschine packen kann.
Sie spielen also Verstecken, eins der ältesten, schönsten Kinderspiele überhaupt, und wenn der eine neben dem Ohr des anderen „Piep!“ sagt, brüllt der Saal, wie auch später beim Knusperkeks-Mampfen und Tierstimmen-Imitieren. Das sind einfache komödiantische Mittel, aber sie so wirkungsvoll einzusetzen, ist fast schon hohe Kunst.
Dennoch hat „Um die Ecke“ mehr zu bieten als Clownerie. Denn auf der Bühne, die Hans-Jörg Buschmeier gestaltet hat, steht ein großer Würfel aus Holzbalken, dessen Seiten zum Teil mit Tüchern bespannt sind: Braun für Matsche, Blau für das Meer, Grün für die Hecke. Wer dort spielen will, braucht Mut, Ideen und ab und zu die Hilfe des anderen. Kinder verstehen sofort, was da passiert, sie erleben es ja jeden Tag. Wenn kein Hai oder keine Ameise zur Hand ist, tun sie eben so, als ob. Und wenn daraus ein Nonsens-Lied entsteht (Musik: Joe Froebe), kann das nicht schaden — es sei denn, man weckt das hungrige Tier.
Dass solche Situationen scheinbar natürlich entstehen und es nie so wirkt, als sehe man erwachsenen Männern beim therapeutisch betreuten Spielen zu, das liegt wohl an Anna Brass. Die Regisseurin hat wochenlang mit den beiden Schauspielern geprobt, und ihr großes Verdienst ist, dass man das nicht bemerkt.
„Um die Ecke“ hat eine spielerische Leichtigkeit und Frische, die bei Theaterprofis schwer zu erreichen ist. Gleichzeitig behält Brass alle dramaturgischen Fäden in der Hand und schafft Momente großer Poesie. Unter der Regendusche oder im glitzernden Weltall zeigt sich, was Theater und Kinderspiel gemein haben: Beide können Grenzen einfach außer Kraft setzen.