Interview mit Bernward Wember: „Mein Vater wollte die Leute provozieren“
Krefeld. Am 25. Juli würde der ehemalige Museumsdirektor Paul Wember 100 Jahre alt. Sein ältester Sohn Bernward spricht über die Familie, Krefeld, Kunst und Skandale.
Herr Wember, Sie sind während des Zweiten Weltkriegs geboren, Ihr Vater war an der Front. Was ist Ihre früheste Erinnerung an ihn?
Bernward Wember: Es gibt ein Foto, auf dem der junge Paul Wember seinen Sohn auf dem Schoß hat. Sein Bein war da noch nicht amputiert. Ich bin also das einzige von sieben Kindern, das den Vater noch mit zwei Beinen kennengelernt hat. Aber das ist vermutlich keine wirkliche Erinnerung.
Was erinnern Sie wirklich?
Wember: Was ich noch genau vor Augen habe, sind die Besuche mit meiner Mutter im Lazarett. Das war ein riesiger Saal mit schwer verletzten und verkrüppelten Soldaten. Meine Mutter galt dort als Engel, weil sie den halbtoten Paul bedingungslos geliebt hat. Viele andere Frauen haben ihren Männern den Ehering auf den Nachttisch geknallt, weil sie nicht mit einem Krüppel leben wollten.
Ihr Vater hat danach sein Leben lang Schmerzen gehabt. Wie ging er damit um?
Wember: Seine Selbstdisziplin war unglaublich. Als wir 1944 nach Lübeck gingen, herrschte bitterkalter Winter. Meine Mutter hat ihn jeden Tag auf einem alten Kinderschlitten über Eis und Schnee bis ins Museum gezogen und abends wieder abgeholt. In Krefeld ist er später trotz Holzprothese täglich mit einem Damenfahrrad von der Bismarckstraße bis zum Karlsplatz gefahren. Er muss oft wahnsinnige Schmerzen gehabt haben.
Wie war er als Vater?
Wember: Ich habe ihn als ungeheuer vital und engagiert erlebt — das Wissen um seine Kriegsverletzung war eher im Hinterkopf. Mein Vater war sehr streng, aber sehr gerecht. Er hat bravourös zu mir gestanden, als ich Schwierigkeiten am Arndt-Gymnasium hatte, und ich frage mich bis heute: Wo hat er die Zeit und die Kraft hergenommen?
Irgendwann beginnen kleine Jungs, sich für die Arbeit ihrer Väter zu interessieren. Wie haben Sie ihn als Museumsmann erlebt?
Wember: Ich habe eine starke Erinnerung an seine Vorträge. Mein Vater war ein begnadeter Redner.
Wie war Ihr eigener Kontakt zur Kunst?
Wember: Der Kontakt entstand über einen Umweg. Mit sieben Jahren bekam ich meinen ersten Fotoapparat. Meine Mutter hat mich in dieser Hinsicht sehr gefördert. Ich habe eine Leidenschaft fürs Sehen entwickelt, die sich auf die Kunst übertragen hat.
Viele der noch heute publizierten Fotos zur legendären Yves-Klein-Ausstellung stammen von Ihnen.
Wember: Ja, Yves Klein und seine junge Frau Rotraud haben mich sehr fasziniert. Er hat gemalt, ich habe seine Farbeimer geschleppt. Und ihn fotografiert.
Warum lag Ihrem Vater, der über Stein- und Holzplastik im 13. Jahrhundert promoviert hatte, die moderne Kunst so am Herzen?
Wember: Er verdankt das meiner Mutter. Sie war Künstlerin und hatte eine große Intuition für moderne Entwicklungen in der Kunst. Sie war der Seismograph. Sein Verdienst war es, sich inspirieren zu lassen. Er hatte die Energie, Intelligenz und Hartnäckigkeit, die Dinge umzusetzen.
Dafür ist er oft angefeindet worden. Wie ging er damit um?
Wember: Er war nie dogmatisch oder fanatisch, aber er ist seinen Gegnern mit harter Argumentation oder mit Humor begegnet. Wenn es sein musste, hat er sie lächerlich gemacht. Er war ein strategischer Fuchs, der die Schwachpunkte anderer erkannt und gnadenlos aufgespießt hat.
Haben ihn diese Auseinandersetzungen nie belastet?
Wember: Sie waren oft Thema bei unseren Mahlzeiten. Er kam aus dem Museum und hat sich empört, wir Kinder haben zugehört. Aber ich glaube, seine Gegner haben seine Hartnäckigkeit unterschätzt. Ihre Angriffe haben sein Kämpferherz stimuliert. Obwohl seine Haltung existenzgefährdend war und er fürchten musste, entlassen zu werden, blieb er ein Überzeugungstäter.
Im Zuge des Yves-Klein-Skandals ist in den Quellen dennoch von einem Zusammenbruch die Rede.
Wember: Es gab keinen Zusammenbruch. An seinem amputierten Bein hatte Vater manchmal Phantomschmerzen. Er blieb tagelang im Bett. Das wurde als Zusammenbruch interpretiert.
Hatte er vor der Ausstellung mit diesem Skandal gerechnet?
Wember: Nicht in dieser Intensität. Aber natürlich wollte er provozieren. Er hat sich darauf gefreut.
Wie haben Sie den Skandal als Jugendlicher erlebt?
Wember: Ich war in der Oberstufe und wir waren mit der Klasse in der Ausstellung. Meine Mitschüler hätten mich danach fast gelyncht. Und mein Kunstlehrer sagte, ich hätte das Abitur nicht verdient, wenn ich diesen pornografischen Wahnsinn verteidige.
Hat das Zweifel in Ihnen geweckt?
Wember: Im Gegenteil. Der Skandal hat die ganze Familie euphorisiert. Je härter die Angriffe wurden, umso mehr waren wir von Yves Klein fasziniert. Ich habe meinem Vater geholfen, die Entgegnungen zu den Angriffen der Presse zu formulieren. Und meine Mutter, die sich sonst eher zurückhaltend gab, hat gekämpft wie eine Löwin. Wir sind alle gestärkt daraus hervorgegangen.
Ab 1955 wohnte die Familie im Haus Lange. Wie war das Leben in der weltbekannten Mies-Villa?
Wember: Zauberhaft. Ich habe den Geruch von frischer Farbe noch in der Nase, den Klang der Klarinette meines Bruders im Ohr. Es war wie im Paradies. Meine vier jüngsten Geschwister sind sogar im Haus Lange geboren, oben in der ersten Etage, im Zimmer mit dem Blick auf den Garten.
Waren Kunst und Privatleben dort noch zu trennen?
Wember: Eigentlich nicht. Selbst außerhalb der Öffnungszeiten kamen Leute aus Amsterdam oder London und klingelten bei uns. Ich habe sie als Jugendlicher durch die Ausstellungen geführt.
All das klingt sehr harmonisch. Haben Sie nie gegen Ihren Vater, den Kunst—Rebellen, rebelliert?
Wember: Meine Rebellion kam erst später. Als 68er begann ich, meine katholische Sozialisation kritisch zu hinterfragen. Als Strauß Kanzlerkandidat wurde, hatte ich harte Auseinandersetzungen mit meinem Vater, es wäre fast zum Bruch gekommen. Politisch war er extrem konservativ, ein strammer CDU-Mann.
1975 trat Ihr Vater in den Ruhestand. Wie blickte er auf seine Zeit als Museumsdirektor zurück?
Wember: Mit Stolz. Es war sein Triumph, dass die Geschichte ihm recht gegeben hat — auch in ökonomischer Hinsicht. Die Kataloge von Christie’s und Sotheby’s wurden bei uns zu Hause herumgereicht, nach dem Motto: Schaut her, was die Sachen heute wert sind, die ich für ein paar hundert D-Mark gekauft habe.
Auch für das Ehepaar Lauffs kaufte er Kunst, die später Millionen einbrachte. Was hätte er zum Abzug der Bilder gesagt?
Wember: Es ist gut, dass er das nicht mehr erlebt hat. Das Ehepaar Lauffs hatte zunächst wenig Ahnung von Kunst und hat sich auf die Intuition meiner Eltern verlassen. Als die Arbeiten aus Krefeld abgezogen wurden, hat meine Mutter sehr gelitten.
Warum ist Ihr Vater bis zu seinem Tod im Jahr 1987 in Krefeld geblieben, wie auch Ihre Mutter, die 2008 gestorben ist?
Wember: Meine Eltern empfanden eine tiefe Verbundenheit mit der Stadt. Dies war der Ort ihrer Erfolge. Die Stadt hatte ja quasi immer zwei Museumsdirektoren zum Preis von einem. Außerdem liebten meine Eltern ihr Haus an der Rather Straße. Es war wie ein kleines Haus Lange, inspiriert von Mies van der Rohe, mit einem traumhaften Obstgarten.
Die Samstagsausgabe der WZ Krefeld widmet Paul Wember eine Doppelseite. Lesen Sie darauf mehr über den Yves-Klein-Skandal und Wembers' weiteres Schaffen in Krefeld.