Interview mit Jan Weiler - Zu Gast in der alten Heimat

Der Autor Jan Weiler liest in der Kufa. Hier spricht er über seine Jugend am Niederrhein.

Krefeld. Der Autor Jan Weiler liest in der Kufa. Im Interview spricht er über seine Jugend am Niederrhein.

Herr Weiler, Sie sind in Meerbusch aufgewachsen. Ihr Auftritt in der Kulturfabrik wird als Heimspiel angekündigt. Haben Sie sich früher denn überhaupt mal nach Krefeld verirrt?

Jan Weiler: Oft — und zwar aus verschiedenen Gründen. Meine Mutter kommt aus Fischeln und mein Opa lebte auch noch sehr lange dort. Ich bin in Strümp aufgewachsen, die Distanz bis Fischeln ist mit dem Fahrrad in einer knappen Viertelstunde zurückzulegen. Das ist das eine.

Und das andere?

Weiler: Ich bin in der Mennonitenkirche getauft worden, weil meine Familie mütterlicherseits aus Tradition mennonitisch ist. So habe ich zu Krefeld natürlich eine tiefe Verbindung — auch weil ich mit vielen, mit denen ich zusammen getauft wurde, immer noch befreundet bin.

Außerdem durften wir früher als Kinder mit der U 76 eher nach Krefeld als nach Düsseldorf fahren. Es waren weniger Stationen, außerdem war Krefeld kleiner und ein bisschen übersichtlicher. Die Stadt hatte somit nicht den Ruch der Gefahr.

Und als Jugendlicher waren Sie dann bestimmt mal häufiger in der Königsburg feiern, oder?

Weiler: Die Königsburg hat erst aufgemacht, als ich 19 oder 20 war. Da waren wir schon total auf Düsseldorf fixiert und am Wochenende immer auf der Ratinger Straße unterwegs.

Krefeld war da einfach nicht mehr so angesagt. Es gab nur zwei Läden, in die man ab und an mal gegangen ist: die Königsburg und das Mephisto an der St.-Anton-Straße. Aber ich war auch als Jugendlicher ständig in der Stadt. Meine erste lange Beziehung hatte ich nämlich mit einem Mädchen aus Krefeld.

Heute leben Sie mit Ihrer Familie in Oberbayern. Was vermissen Sie am Niederrhein und seinen Bewohnern?

Weiler: Das ist schwer zu beantworten. Was ich manchmal vermisse, das sind Freunde und bestimmte Gefühle, die ich habe, wenn ich in Düsseldorf oder Meerbusch bin. Denn es gibt vieles, was ich an meiner alten Heimat mag, angefangen bei der Mentalität der Menschen. Auf der anderen Seite ist es in Icking so schön, wir haben so viele Freunde hier und die Kinder sind hier geboren.

Sie sind also richtig heimisch geworden.

Weiler: Genau. Für mich ist es ja eh egal, wo ich arbeite. Meinen Job könnte ich auch in Madrid erledigen. Aber für meine Familie wäre ein Ortswechsel gar nicht mehr so einfach. Meine Frau ist aus Kempen, sie empfindet das so ähnlich. Wir sind immer gerne am Niederrhein, aber nach ein paar Tagen wollen wir dann auch wieder nach Hause.

Der Nostalgie-Effekt hält eben nicht dauerhaft an.

Weiler: Ja, und das Bedauerliche ist, dass die Städte meiner Kindheit sich nicht gerade zum Vorteil entwickelt haben. Düsseldorf hat sich zwar sehr gemacht. Aber Krefeld ist nicht deutlich schöner geworden in den vergangenen 20 Jahren. Und Meerbusch-Strümp leider auch nicht.

Ihre ersten journalistischen Schritte haben Sie als freier Mitarbeiter bei der Westdeutschen Zeitung gemacht. Können Sie sich noch an Ihren ersten Artikel erinnern?

Weiler: Ja, klar. Das war eine kurze Geschichte über einen Mitschüler, der im Keller unseres Gymnasiums mit einer 16-Millimeter-Kamera einen Gruselfilm gedreht hat.

Direkt eine selbst recherchierte Geschichte also. Nicht schlecht. Die meisten fangen mit Terminen bei Briefmarkensammlern oder Kaninchenzüchtern an.

Weiler: Das kam danach. Der Ressortleiter wollte erst einmal testen, wie das mit dem Schreiben so klappt bei mir. Als klar war, dass man mich auch mal losschicken kann, habe ich viel Zeit in irgendwelchen Ausschussitzungen und bei anderen klassischen Zeitungsterminen verbracht. Überall bin ich mit dem Fahrrad hingefahren. Das war schon abenteuerlich.

Jetzt sind Sie Anlass für eine Berichterstattung und werden interviewt. Sind Sie manchmal verwundert über diesen Seitenwechsel?

Weiler: Verwundert bin ich darüber nicht. Es ist schön und irgendwie ein nettes Gefühl zu wissen, wie Sie sich gerade fühlen.

Wie fühle ich mich denn?

Weiler: Sie müssen gucken, dass Sie möglichst viel Verwertbares aus mir herauskriegen. Außerdem schauen Sie immer auf ihren Zettel auf die über-übernächste Frage, ob sie zum Gespräch passt und so.

Ja, das stimmt genau.

Weiler: Sehen Sie. Aber verwundert bin ich darüber nicht. Es war ja ein sehr organischer Übergang. Und es macht einfach Spaß, auf der anderen Seite zu stehen.

Vermissen Sie denn manchmal Ihre Rolle als objektiver Berichterstatter? Denn momentan sind ja Sie und Ihre Familie das Objekt des öffentlichen Interesses.

Weiler: Nein, denn eigentlich gebe ich nicht viel Persönliches preis. In der Kolumne „Mein Leben als Mensch“ wird ja eine ausgedachte Familie zum Leben erweckt. Das bin auch gar nicht ich, sondern eben der fiktionale Erzähler, der seine Gedanken und Beobachtungen mitteilt.

Trotzdem gibt es in den Kolumnen doch eine große Portion von Jan Weiler.

Weiler: Ja, natürlich. Ich habe zwei Kinder, eine Frau und einen italienischen Schwiegervater. Das stimmt alles. Aber die Geschichten, die ich da erzähle, denke ich mir aus. Jede Person in den Kolumnen erfüllt eine gewisse Funktion, eine Aufgabe. So richtig private Dinge erzähle ich da nicht. Da kommt zum Beispiel niemals mein Hund vor.

Warum? Über Hunde und ihre Halter gibt es doch so viel zu erzählen.

Weiler: Das stimmt, aber die Menschheit teilt sich auf in Hunde-Liebhaber und Hunde-Hasser. Indem ich über meinen Hund schreibe, halbiere ich mein Publikum.

Das hat also materialistische Gründe.

Weiler: Nein, das hat konzeptionelle Gründe. Dinge, die in der Kolumne vorkommen, sollten möglichst viele Leute betreffen und damit eine gewisse Allgemeingültigkeit haben.

Zum Beispiel?

Weiler: Es gibt eine Kolumne, in der Vater und Mutter ins Kino gehen und zum ersten Mal ihre Kinder alleine ohne Babysitter zu Hause lassen. Die Kinder quatschen in dieser Zeit ununterbrochen Horrormeldungen auf die Mailbox. Das ist ein sehr lustiger Text, weil das die Eltern in totale Panik versetzt. Das Allgemeingültige daran ist: In jeder Familie gibt es genau diesen Moment, wenn die Kinder erstmals alleine zu Hause sind und die Eltern sich davor fürchten.

Das war bei uns auch so, auch wenn natürlich nichts passiert ist. Diesen Quantensprung der familiären Entwicklung habe ich zum Anlass genommen, eine Kolumne zu schreiben, die ich mir dann aber ausgedacht habe.

Wahrscheinlich erklärt das auch das große Interesse an Ihrem „Leben als Mensch“, das ja nicht unbedingt das eines Rockstars ist.

Weiler: Genau, meine Geschichten sind eine riesige Projektionsfläche. Von daher ist der Vergleich mit dem Rockstar auch gar nicht so doof. Wenn Leute auf Konzerte gehen, projizieren sie etwas auf diese Person, die vorne auf der Bühne steht. Sie denken: „Der ist wie ich“ oder „Seine Songtexte sprechen mir aus der Seele“.

In Wirklichkeit ist dieser Mensch eine Bühnenfigur. Das können die meisten Leute nicht richtig trennen und wollen das auch gar nicht. Sie wollen aus meiner Lesung kommen und denken: „Das war lustig und diese Geschichten handelten eigentlich von uns.“ Aber das ist ja super, so muss das sein.

Wenn Sie ständig auf der Suche nach solchen Geschichten sind, laufen Sie dann mit einer besonderen Kolumnistenbrille durch die Welt?

Weiler: Ja, man plündert schon alles aus. Zeitung und Fernsehen zum Beispiel. So gibt es auch ein Stück über Peter Zwegat, den Schuldnerberater. Feste wie Weihnachten, Ostern und Geburtstag spielen eine Rolle oder wichtige Termine wie der Beginn der Grillsaison oder der großen Ferien. Diese Themen liegen ja quasi auf der Straße. Es gibt aber auch die schrägen Anekdoten aus dem Freundeskreis, die man ebenfalls mitnimmt. Man plündert alle aus und das den ganzen Tag lang.

Fühlen sich Ihre Mitmenschen dann nicht benutzt?

Weiler: Ach, zum Spaß wird das mal thematisiert. Aber meine Freunde vertrauen mir. Die wissen ja, dass ich das so weit fiktionalisiere, dass das niemand mehr auf sie zurückführen kann. Das ist auch wichtig, schließlich haben diese Menschen Persönlichkeitsrechte, die ich nicht verletzen will.

2009 ist der erste Band ihrer gesammelten Kolumnen erschienen, zwei Jahre später der nächste. Was hat sich in dieser Zeit geändert?

Weiler: Vieles, schließlich sind wir alle älter geworden. Der Erlebnishorizont meiner Kinder hat sich total verändert. Aber auch mein eigener. Es gibt eben Dinge, an denen ich heute weniger Interesse zeige als noch vor ein paar Jahren. Neulich war ich zum Beispiel auf einem Konzert von den Broilers, einer Indie-Band aus Düsseldorf. Es war auch super, aber zwischendurch habe ich mich dabei erwischt, dass ich dachte: „Geht das nicht auch ein bisschen leiser?“

Gibt es noch andere Dinge, an denen Sie merken, dass Sie älter werden?

Weiler: Ich kriege Haare in den Ohren. Das ist ein schwerer Schlag. Und ich brauche mehr Zeit zur Erholung, wenn ich einen Kater habe. Die Konsequenz ist, dass ich plötzlich Dinge sage, die mir früher nie in den Sinn gekommen wären, wie: „So, jetzt reicht’s. Ich trinke jetzt mal anderthalb Stunden nur Wasser.“

Und was macht Ihr junges Ich, wenn es Sie so hört?

Weiler: Mein junges Ich dreht sich verschämt um und denkt: Was ist denn das für eine Pfeife?