Tanz Was uns trennt und bindet
Krefeld · Move! in town – Uraufführung von MIRA 9 im Cafe Ludwig im Mies-van-der-Rohe-Business-Park.
In Krefeld wird wieder getanzt. Nach der durch Corona bedingten Zwangspause ist mit dem jährlich stattfindenden Format „Move! in town“ wieder eine außergewöhnliche Form des zeitgenössischen Tanzes zu sehen. Das Konzept verlegt den Tanz immer an einen besonderen, oft ungewöhnlichen Ort. In der Vergangenheit war das immer unter freiem Himmel, wie unter der Autobahnbrücke in Linn oder am Rheinufer in Hohenbudberg.
Die siebte Ausgabe dieser vom Kulturbüro veranstalteten Reihe war jetzt erstmals in einem geschlossenen Raum zu sehen. Das vermag gerade in der derzeitigen Situation verwundern, aber der jetzt ausgewählte Ort und das Konzept dazu führten zu einem in jeder Hinsicht großartigen Ergebnis. In den wunderbaren Räumlichkeiten des Café Ludwig im Mies-van-der-Rohe-Business-Park zeigte das Kölner Tanzensemble MIRA seine neueste Produktion „was uns trennt und bindet“. Nach den derzeit üblichen Corona-Schutzregeln konnte das Publikum auf nummerierten Stühlen in dem weitläufigen Raum Platz nehmen.
Der Bereich vor diesen Fenstern dient als Bühne
Auf den ersten Blick besticht die großartige Architektur Mies van der Rohes. Die schönen Proportionen, die Klarheit und die große Fensterfront, die eine Beziehung zum Außengelände schafft. Der Bereich vor diesen Fenstern dient als Bühne, nur von wenigen Scheinwerfern beleuchtet. Eine Tänzerin in einem in Blautönen gehaltenen, schlichten Kleid betritt diesen Raum und blickt durch die Fenster nach draußen. Dort bewegt sich langsam ein Tänzer an einer Reihe von Bäumen entlang Richtung Eingang. Die Bäume sind von unten blau beleuchtet, später wechseln sie auf Grün und Rot. Die Atmosphäre ist geheimnisvoll aufgeladen. Der Mann betritt den Raum, es kommt zum Blickkontakt mit der Frau und zu Bewegungsabläufen. Jeder bleibt aber für sich, es kommt zu keinem direkten Körperkontakt. Ein zweiter Mann kommt ins Spiel, sofort entsteht ein neues Gefüge von Beziehungen. Die Bewegungen sind nie fließend sondern in stetem Wechsel der Positionen. Immer wieder werden die Körper mit Betonung der Diagonale gestreckt und gedehnt, dann folgen wieder schnell abgehakte Bewegungen, oft mit dem Arm. Der Raum wird mit den Möglichkeiten des Körpers erforscht, Grenzen werden sichtbar. Auch der Raum zwischen den einzelnen Protagonisten ist Thema, wird ausgelotet. An einigen Stellen kommt es auch zu parallelen Bewegungsabläufen. Trotz der dabei eingehaltenen Distanz zwischen den Körpern entsteht der Eindruck einer vorübergehenden Nähe.
Ein weiterer Impuls entsteht durch das Auftauchen einer zweiten Frau. Die Tänzerin bewegt sich zunächst in Rückenansicht dicht an der Fensterfront entlang, um dann durch eine Öffnung in den Raum zu kommen. Hier tastet sie sich auf ihren Fußspitzen langsam vor. Alle treten wieder in Aktion, halten nach einiger Zeit inne. Ein Moment der Ruhe, man hört nur den Atem von allen. Dann nimmt einer der Männer das Spiel wieder auf. Er streckt den Arm nach oben, biegt ihn ab, hält ihn wie eine Barriere vor sich. Blickkontakte mit den Anderen lösen wieder neue Aktionen aus. Unvermittelt verlassen die beiden Männer den Raum und laufen draußen an der Fensterfront entlang. Nach kurzer Zeit wählt auch die zweite Tänzerin wieder den Weg durch das Fenster. Die erste Tänzerin bleibt in sich versunken in dem Raum zurück.
Der Sound erinnert an einigen Stellen an die Musik von Glass
Von draußen, wo es inzwischen ganz dunkel geworden ist, schimmern die Bäume durch. Die Tänzerin ist alleine, aber sie wirkt nicht einsam. Sie ist ganz bei sich in diesem wunderbaren Raum. Eine Stunde ist wie im Flug vergangen, die sensible und zugleich dynamische Choreografie von Julia Riera, der künstlerischen Leiterin des Ensembles, zieht den Zuschauer vom ersten Moment an in den Bann. Hinzu kommt der mit dem Thema hervorragend korrespondierende Ort. Die Fensterfront stellt die perfekte Verbindung zwischen Innen und Außen her, zeigt grenzen auf, aber ermöglicht auch ihre Überwindung. Die Protagonisten Mijn Kim, Geraldine Rosteius, Mark Christoph Klee und Kirill Berezovski zeichnen sich neben tänzerischer Perfektion durch starke individuelle Charaktere aus. Und auch der immer wieder einzelne Szenen untermalende Sound von Philip Mancarella, der an einigen Stellen an die Musik von Philipp Glass erinnert, trägt zum gelungen Gesamtkonzept bei. Ein wunderbares Tanzerlebnis, dass eben nur live seine ganze Faszination entfalten kann.