Konzert Ein Chorkonzert auf den Spuren von Kirchenmusik
Krefeld · Solisten, Niederrheinischer Konzertchor und Sinfoniker unter der Leitung von Michael Preiser präsentierten beglückend zwei Messen von Antonio Caldara.
Mozarts oder auch Haydns kirchenmusikalische Schöpfungen sind nicht aus luftleerem Raum entstanden. Was uns etwa an Mozarts ikonisch gewordenem Requiem immer wieder hochgradig berührt, ist natürlich diese typisch Mozart‘sche Vertonung des lateinischen Totenmessen-Textes, doch so einzigartig ist dieser Klangkosmos wiederum auch nicht. Hört man Antonio Caldaras Requiem, er war 1736 schon tot, Mozart wurde erst 1756 geboren, so spürt man die großen Fäden der europäischen Kunstmusiktradition, wie sie ineinandergreifen. Wie sich die Tonsprache einer Generation auf die andere bezieht, wie sich in der Art wie mit Melodien und deren Begleitung, wie mit Text und ihrer Transformation in Gesang umgegangen wird, eine Evolution zeitigte.
Gerade auch um solche musikalischen Erfahrungen heute machen zu können, kann man Menschen wie Michael Preiser nicht genug danken. Dass sie die Mühe auf sich nehmen, Meisterwerke unbekannterer und vor allem hinter den großen Namen der Musikgeschichte versteckter Komponisten uns als Publikum zugänglich zu machen, ist alleine schon eine wunderbare Sache. Wenn dann daraus eine derart stimmige Aufführung erwächst wie das 2. Chorkonzert unter Preisers Leitung in der Friedenskirche Krefeld, dann bleiben eigentlich keine Wünsche offen.
Eine Messe hat Preiser aus dem Dornröschenschlaf befreit
Zwei Werke Caldaras, die man dem späten Barock zurechnen kann, erklangen nun gesungen von hervorragend besetzten Solisten, dem bestens aufgelegten Niederrheinischen Konzertchor und mit einem auf das Nötige reduzierte mit Esprit spielende Ensemble der Niederrheinischen Sinfoniker. Caldaras Requiem, das jüngst erst durch das Ensemble Musica Fiorita aus der Versenkung heraufgeholt wurde und die „Missa Dicta Reformata“ in g-Moll. Letztere hat Preiser selbst aus dem Dornröschenschlaf befreit. Er hat aus Quellen, die sich in der Sächsischen Landesbibliothek befinden und die zuvor im Archiv der Dresdner Hofkapelle schlummerten, selbst das Aufführungsmaterial erstellt. Das heißt, akribisch aus Handschriften die Noten herausgelesen, diese so präpariert, dass sie von Musikern heute gelesen werden können, und für jede Stimme, jedes Instrument Noten angefertigt, sodass eine Aufführung möglich ist.
Dazu muss man auch entscheiden, was Original ist, und was im Nachhinein von anderen Generationen von Musikern verändert wurde. Dieses Prozedere erfordert natürlich neben großem Fachwissen vor allem auch Zeit und Geduld. Doch die Mühe hat sich gelohnt. Ohnehin ist Preiser – wie er selbst betont – jemand, der gerne mal verloren geglaubte musikalische Schätze bergen will.
Es gab in der Tat viele musikalische Aha-Erlebnisse in beiden Werken zu erleben. Emotionale Chorpassagen, so vertraut und doch hinter dem Geschichtsschleier verborgene Arien und eine orchestrale Begleitung, die, wie so oft im Spätbarock, fast so zeitlos modern wirkt wie die zurecht hochverehrten Klangteppiche der späteren Wiener Meister. Musikgeschichte ist fließend und Kategorisierungen wie Barock oder Wiener Klassik stimmen immer irgendwie ein bisschen, sind aber dann doch nur die Konstruktion einer gerne in Schublädchen denkenden Nachwelt. Aber darüber ließe sich trefflich lange diskutieren.
Worüber wir indes nicht diskutieren dürfen, ist das gut funktionierende Gesamtpaket dieses Konzertes. Da wäre die Sopran Maya Blaustein, ein Glücksfall für das Opernstudio, die mit ihrer schön kultiviert geführten Stimme und ihrer überragenden Präsenz herausstach.
Wenig Wünsche offen ließ auch Boshana Milkov, ebenfalls aus dem Opernstudio, mit ihrer Alt-Stimme, gleichfalls wie Guillem Batllori. Als reifer – vielleicht etwas zu reifer – Altus präsentierte sich Frank Valentin mit differenziertem musikalischen Formungsbewusstsein. Souverän auch Tenor James Park.
Der Niederrheinische Konzertchor vermochte insbesondere in seiner Phrasierung Eloquenz zu entfalten. Vor allem im Tutti, wenn sämtliche Stimmen zusammen singen, gelangen stimmige Klangfarben, die Michael Preiser mit äußerst musikalischen dirigentischen Gesten heraufbeschwor. Ohnehin wirkten die Tempi als auch die feine Nuancierung der motivischen Struktur durch Preisers Dirigat durchdacht und schlüssig.
Die Musiker der Sinfoniker steuerten einen sich auf überzeugende Weise an Grundzügen historischer Aufführungspraxis orientierenden orchestralen Klang bei. Was heißt das? Nun, die Art und Weise wie man ein Instrument spielt, wie man Töne verziert oder wie man einen Ton durch gewisse Techniken färbt, hat sich im Laufe der Zeit verändert. Dazu gibt es viele Quellen, weiß man es natürlich nicht ganz genau, wie Musiker im 18. Jahrhundert beispielsweise ihre Geigen spielten. Es kann bis heute tüchtig über Details gestritten werden – einiges indes ist weitestgehend unstrittig.
So etwa, dass das Vibrato – das leichte oder auch mal stärkere Schwingen des Tones, erzeugt durch ein „Zittern“ bei der Tongebung – so wie es heute im „normalen“ Orchesterklang vorkommt, eigentlich eine recht späte Tradition ist. Früher ging man, wenn überhaupt, sehr bewusst und sparsamer mit dieser Technik um. Und so haben die Sinfoniker auch hier eben jene Praxis im Hinterkopf gehabt und sparsamer, bewusster vibriert. Mit Bedacht darauf geachtet, einen zwar sehr emotionalen, aber durchsichtigeren, weniger „dicken“ und „schwülstigen“ Klang zu produzieren. Wie schön ihnen das doch gelang.
Ein schöner Abend – mit einer authentischen Reinheit wie ein Kirchenkonzert.