Literatur: Alexandra Friedmann lebt im „Besserland“

Die Krefelderin liest aus ihrem Roman im Rahmen der Jüdischen Kulturtage. Im Interview spricht sie über ihre Kindheit.

Foto: Gerald von Foris

Krefeld. Frau Friedmann, in „Besserland“ verarbeiten Sie Ihre Familiengeschichte. Ihre Familie wollte von Weißrussland in die USA auswandern, fand aber nach einer Odyssee in Krefeld ein neues Zuhause. Hat sich Krefeld als das erhoffte „Besserland“ erwiesen?

Alexandra Friedmann: Auf jeden Fall. Meine Eltern haben ihre Entscheidung nie bereut. Tatsächlich kam es ja dann wirklich so, wie der ausgefuchste Jossik, der sie zu diesem Schritt überredet hat, versprochen hatte: Sie bekamen hier in Deutschland die Möglichkeit, langsam wieder auf die Beine zu kommen. Sie haben Deutsch gelernt, haben umgeschult und konnten sich was aufbauen. Schön war auch, dass Dank der Kontingentlösung meine Großeltern und andere Familienmitglieder ebenfalls nach Krefeld kommen konnten.

Haben Sie mal darüber nachgedacht, wie Ihr Leben verlaufen wäre, wenn Sie wie geplant in New York gelandet wären?

Friedmann: Natürlich denke ich manchmal: Hätten meine Eltern sich damals anders entschieden, wäre ich heute ein anderer Mensch. Nach meinem ersten Besuch in den USA vor etwa zehn Jahren war ich aber ganz froh, dass es so gekommen ist. Ich fühle mich einfach viel zu sehr als Europäerin. Wäre ich in New York aufgewachsen, hätte ich wahrscheinlich nicht in Paris studiert — diese Erfahrung möchte ich um keinen Preis missen.

Haben Sie Ihre Geburtsstadt noch einmal besucht?

Friedmann: Ja, einmal. Das muss 2006 gewesen sein. Es war mir wichtig, zu sehen, wo ich herkomme. Auch wenn ich den Sowjetalltag als Kind nicht bewusst erlebt habe, so beschlich mich damals doch das Gefühl, dass sich in diesem Land seit den 80ern wenig verändert hatte. Zwar waren die Geschäfte jetzt nicht mehr leer, doch die Preise für Lebensmittel und viele andere Dinge schienen für den Großteil der Bevölkerung einfach nur unerschwinglich. Auch die Meinungs- und Pressefreiheit blüht und gedeiht unter Lukaschenko nicht gerade — und der staatliche Überwachungsapparat wurde nie abgeschafft. Nachdem ich mit eigenen Augen gesehen hatte, welche Zustände noch heute in Weißrussland herrschen, war ich meinen Eltern dankbar: Für ihren Mut und dafür, dass sie damals diesen großen Schritt ins Unbekannte gewagt haben.

In Weißrussland machte Ihren Eltern der Antisemitismus zu schaffen. Wie sind Sie als jüdisches Gemeindemitglied in Krefeld aufgewachsen?

Friedmann: In den 90ern war die Jüdische Gemeinde ein beliebter Treffpunkt für die Immigranten. Ich kann mich an unzählige Freitagabende erinnern, an denen wir das Gebet besuchten, auch Feste wie Hanukkah oder Purim, wo die Kinder sich wie an Karneval verkleiden, sind mir in guter Erinnerung geblieben. Später war ich sogar an der Gründung eines Jugendzentrums beteiligt. Für mich persönlich stand aber eher die Gemeinschaft und weniger die Religion im Vordergrund. Nachdem viele, so wie auch ich, zum Studieren wegzogen, hat sich das leider zerschlagen. Natürlich interessiere ich mich heute für das Judentum in Deutschland, praktizierende Jüdin bin ich aber nicht.

Bemerken Sie eine veränderte Grundstimmung gegenüber Flüchtlingen?

Friedmann: Die Stimmung in Deutschland ist heute sicherlich eine andere als vor 25 Jahren. Das liegt an den aktuellen Debatten über Migration und Flüchtlingspolitik, es liegt am Schrecken des Terrorismus und der verbreiteten negativen Grundeinstellung zum Islam, und es liegt auch nicht zuletzt an den Wirtschaftskrisen der letzten Jahre. Die Leute fühlen sich bedroht — in ihren Ansichten, in ihrem Lebensstandard, in ihrer Freiheit — und diese Ängste werden auf Flüchtlinge und Asylbewerber projiziert. Das finde ich sehr traurig, denn es erschwert den Menschen umso mehr die Integration und führt eben zu dem, was so viele fürchten: zu Parallelgesellschaften und gegenseitigem Unverständnis.

Ihr Buch liest sich sehr heiter, fast wie eine Komödie. Kein Blick zurück im Zorn?

Friedmann: Nein, das wäre überhaupt nicht meine Art. Die meisten Geschichten, die ich in Besserland erzähle, habe ich von meinen Eltern — und sie wurden immer mit viel Humor an mich herangetragen. Natürlich war es nicht einfach, aber meine Familie ist dankbar, dass alles doch ein gutes Ende gefunden hat. Ressentiments wären da fehl am Platz.

Wie verfolgen und erleben Sie die Krise in der Ukraine?

Friedmann: Mit Kopfschütteln. Ich finde es schrecklich, dass zwei Völker, die wie Brüder waren, sich aus politischen und territorialen Diskrepanzen heraus bekriegen. Nach dem Konflikt in Südossetien 2008 bin ich durch Georgien gereist und habe die Enttäuschung und das Unverständnis der georgischen Bevölkerung über die beidseitigen Aggressionen mitbekommen. Die Krise in der Ukraine aber ist noch verheerender: sie produziert auf beiden Seiten blanken Hass. Das macht traurig.

Ist „Besserland“ Ihr Beitrag zu einer deutsch-jüdischen Literatur?

Friedmann: Das hoffe ich. Ich denke, dass es an der Zeit ist, eine deutsch-jüdische Literatur zu schaffen, die sich nicht ausschließlich mit dem Holocaust und dem dritten Reich befasst. Schließlich gibt es eben dank der jüdischen Migranten aus der Sowjetunion eine junge deutsch-jüdische Geschichte — und so sollte es auch eine junge, deutsch-jüdische Literatur geben.