Theater Sechs Meter Abstand beim Bühnenkuss
Krefeld · Theater in Zeiten von Corona: Probenbesuch von Oberbürgermeister Frank Meyer beim Beethoven-Projekt des „Jungen Theaters“ am Krefelder Haus.
Ein Besuch Frank Meyers beim „Jungen Theater“ war seit langem geplant – nun hat der Termin einen komplett neuen Dreh entwickelt, wie die Stadt in bildhaften Worten in einer Mitteilung berichtet. Eigentlich sei Krefelds Oberbürgermeister und Kulturdezernent bei der Operngala im November auf die Nachwuchskünstler aufmerksam geworden und hatte sich gewünscht, das Projekt des Theaters näher kennenzulernen. Das war vor Corona. Doch dann kam die Epidemie dazwischen. Und so wird aus einem Austausch über den Berufseinstieg für Künstler, über Herausforderungen und Rückschläge ein Einblick in die Theaterarbeit unter extremen Bedingungen.
Ein Bühnenkuss in Corona-Zeiten ist eine echte Herausforderung. Zu den Klängen von Beethovens Ariette mit Klavierbegleitung „Der Kuss“ op. 128 bewegen die Sopranistin Maya Blaustein und der Tenor Woongyi Lee ihre Lippen sehnsüchtig aufeinander zu. Spielen, als wünschten sie sich nichts mehr als die innige Berührung zweier Verliebter.
Das Problem ist nur: Während der Proben auf der großen Bühne stehen sie sechs Meter auseinander – exakt der Abstand, der nach den derzeitigen Hygienebestimmungen vorgeschrieben ist. So wird aus dem Kuss eine Art Pantomime unerfüllbarer Leidenschaft. „Es sei vergeb’ne Müh“, lautet eine Textzeile – selbst so einfache Sätze bekommen in diesen Zeiten eine völlig neue Bedeutung.
Die Regisseurin ist auch die oberste Hygieneaufsicht
Katja Bening, Regisseurin eines Beethoven-Filmprojekts am Theater Krefeld und Mönchengladbach, meistere derweil die Herausforderung, kreativer Kopf der Produktion zu sein und gleichzeitig als oberste Hygieneaufsicht zu fungieren, beschreibt der Bericht weiter.
Schauspieler, Sänger, Musiker und Tänzer sind es gewohnt, kreative Lösungen zu finden und zu improvisieren. Insofern scheinen Proben auf Abstand und Küsse auf Entfernung gar nicht so sehr das Problem zu sein. Doch was wirklich fehlt, ist der Kontakt zum Publikum. „Theater braucht Nähe, das ist gerade sehr schwierig zu ersetzen. Wenn der Saal voll ist, gibt es etwas Unsichtbares, das man kaum beschreiben kann und das eine ganz andere Spannung erzeugt“, sagt die Sängerin Boshana Milkov. Diese „statische Energie“ fehlt jetzt – auch wenn das Theater im Juni wieder kleinere Formate mit Publikum realisiert.
Allerdings hätten die digitalen Übertragungen der vergangenen Wochen auch ihre Vorteile gehabt, konstatiert man. Da viele Mitglieder des Jungen Theaters aus anderen Ländern stammen, konnte ihre Familie sie nun zum ersten Mal auf der Bühne erleben – wenn auch nur virtuell. „Man lernt durch die digitalen Produktionen auch viele neue Dinge, die man nach Corona gut gebrauchen kann“, sagt der syrische Schauspieler Raafat Daboul. Doch trotz der Vorteile von Streaming und Co. herrsche in der Einschätzung bei vielen Einigkeit: Mit den Worten „Digitale Formate können das analoge Erlebnis nicht ersetzen. Da bleibt immer ein himmelweiter Unterschied“ lässt sich auch der Oberbürgermeister zitieren.
Ansonsten sei es den jungen Künstlern zwischen März und Mai wie fast allen anderen gegangen: Sie blieben zu Hause. Die Schauspieler lernten Texte, die Tänzer hielten sich fit, die Musiker übten an ihren Instrumenten. „Und als Sängerin singt man eben seinen Pflanzen was vor“, sagt Maya Blaustein. Schließlich besteht der Stimmapparat aus Muskeln, und die wollen trainiert werden. Nun stürzen sich die zwölf Mitglieder des Jungen Theaters wieder in die Arbeit, sei es der Filmdreh zu Beethoven oder ein spartenübergreifendes Projekt zu Anne Frank, das in Mönchengladbach gezeigt wird. Kunst mag nicht im stillen Kämmerlein bleiben, sie will raus zu den Menschen.
Zwölf Künstler aus neun Nationen verwirklichen ihren Traum
Und so kriegt das Gespräch auf der großen Bühne doch noch den Dreh zum Projekt „Junges Theater“, das vom Land NRW gefördert wird. Die zwölf jungen Künstler, die aus neun verschiedenen Nationen kommen, finden es großartig, dass sie früh in ihrer Laufbahn zum festen Teil des Theaterbetriebs werden können – inklusive Einkommen nach Tarif, berichtet man. „Mit 25 gilt man in unserem Beruf teilweise noch als sehr jung“, erzählt Boshana Milkov. „Ich habe zusätzlich das Problem, dass viele Mezzosopran-Partien für ältere Damen geschrieben sind. Aber hier kann ich trotzdem in so viele Stücke hineinschnuppern und als Zweitbesetzung von erfahrenen Kolleginnen lernen.“ Das Projekt ist auch eine große Chance für den jungen Syrer Raafat Daboul, der als Flüchtling an den Niederrhein gekommen ist.
Doch ebenso wie die Nachwuchskünstler profitiert auch das Publikum von dem Projekt. Junge Schauspieler, Sänger, Musiker und Tänzer brächten frischen Wind ins Ensemble, und die Zuschauer bekämen die Chance, neue Talente auf der Bühne zu erleben. „Ich denke, wir haben inzwischen gute Wege gefunden, mit der Corona-Situation umzugehen. Nun sind wir alle gespannt, wie es im Herbst für das Theater weitergeht“, sagt Ulrike Aistleitner, Dramaturgin im Musiktheater und Leiterin des Projekts. Wie alle Künstler am Gemeinschaftstheater brennen auch die Mitglieder des Jungen Theaters darauf, wieder auf der großen Bühne zu stehen und ein möglichst großes Publikum zu begeistern – gerne mit leidenschaftlichen Bühnenküssen ohne Anstandsdame und Abstandshalter. Red
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