Kolumne Über spätromantische Geheimnisse beim 5. Sinfoniekonzert in Krefeld

Krefeld · Das erwartet das Publikum beim nächsten Konzert im Seidenweberhaus. GMD der Niederrheinischen Sinfoniker, Mihkel Kütson, schreibt zum Programm des 5. Sinfoniekonzerts.

Mihkel Kütson dirigiert die Niederrheinischen Sinfoniker.

Foto: Andreas Bischof

Im Jahre 1939 beschrieb Winston Churchill Russland als „ein Rätsel innerhalb eines Geheimnisses, umgeben von einem Mysterium“. Diese Worte, welche heute bedrückend aktuell klingen, treffen auch den Kern der „Symphonie pathétique“ von Peter Tschaikowsky. Kaum ein anderes Musikwerk hat so viele Spekulationen über die geheimen Hintergründe, autobiographischen Bezüge und Absichten des Komponisten hinterlassen, als seine letzte Sinfonie. Sein Tod, unter bis heute ungeklärten Umständen im Oktober 1893, neun Tage nach der Uraufführung einer im klanglichen Nirwana endenden Symphonie feuerte die Gerüchte noch an. Tatsächlich wirkt sie wie ein Abgesang auf eine ganze versinkende Epoche. Es ist ein Werk des Fin-de-Siècle, in dem Vieles von dem verklingt, wovon die Kunst und im Speziellen die Musik in den Jahrzehnten zuvor geprägt wurde. Obwohl die mittleren Sätze einen Versuch unternehmen, die vergangenen romantischen Zeiten der früheren Jahre anklingen zu lassen, zerfließt das Finale vor den Augen und Ohren des Publikums unaufhaltsam.

Zu seiner Zeit ist Polen aufgeteilt zwischen Russland und Preußen

Beim 5. Sinfoniekonzert der Niederrheinischen Sinfoniker erklingt die bemerkenswerteste Sinfonie Tschaikowskys neben dem Violinkonzert in A-Dur des 1876 in Litauen geborenen polnischen Komponisten Mieczysław Karłowicz. Er schuf in seinem kurzen Leben ein kleines, aber bemerkenswertes Œuvre, das zwar in Polen zum festen Bestand der nationalen Musiktradition gehört, doch jenseits der Grenzen fast unbekannt geblieben ist. Zu seiner Zeit war Polen aufgeteilt zwischen Russland und Preußen. Das Land wurde immer mehr zu einer kulturellen Wüste. Dem stellten sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts verschiedene Strömungen entgegen, so etwa die Komponistenvereinigung „Junges Polen“, der Musiker wie Grzegorz Fitelberg und Karol Szymanowski angehörten. Auch Karłowicz unterstützte die Bewegung und im Jahre 1906 ließ er sich in Zakopane im polnischen Hochland nieder. Die Landschaft war für die damaligen Literaten und Musiker ein Zufluchtsort, wo sie in typischer Fin-de-Siècle-Stimmung ihre verletzten Nationalgefühle künstlerisch auslebten. 

Mit der Uraufführung des Violinkonzerts durch die Berliner Philharmoniker hat Karłowicz sich mit einem Mal in die Mitte der damaligen Musikwelt katapultiert. Es folgten sechs sinfonische Dichtungen in subtiler und farbenreicher Instrumentation. Dennoch zog es ihn in die Einsamkeit der schönen Tatra-Berge, wo er lange Wanderungen und Skitouren unternahm. In den Bergen fand er mit 32 Jahren auch den Tod: Er wurde er von einer Lawine verschüttet. In den Wirren des Ersten Weltkrieges entschwand damit auch seine Musik aus den Konzertsälen. So erklingt sein spätromantisch-virtuoses, aber dennoch innig-lyrisch geprägtes Violinkonzert am Niederrhein zum ersten Mal. Nach ihren umjubelten Konzerten bei unserem Orchester im Jahr 2019 war es für die Geigerin Alena Baeva eine Herzensangelegenheit, dieses wunderschöne Werk mitzubringen und so zur Wiederentdeckung dieses besonderen Komponisten beizutragen.

Konzerte am Dienstag, 5., und Freitag, 8. April, 20 Uhr, Seidenweberhaus Krefeld. Konzerteinführung: Dienstag, 19.15 Uhr. Debütkonzert mit Musikschülern: Freitag, 19 Uhr.