Konzert in Krefeld Überraschendes aus Osteuropa

Krefeld · Das 1. Sinfoniekonzert der Saison 2023/24 im Seidenweberhaus Krefeld hatte eine außergewöhnliche Aura. Generalmusikdirektor Mihkel Kütson präsentierte mit seinen herausragenden Niederrheinischen Sinfonikern ein Programm mit unbekannten oder zumindest selten gespielten Werken, die allesamt dem (sowjet-)russischen Bereich zuzuordnen sind.

Pianistin Mariam Kharatyan, Mihkel Kütson und die Niederrheinischen Sinfoniker in einem emotionalen Moment.

Foto: samla

Anatoli Ljadow (1855-1914) hat russische Wurzeln, Aram Chatschaturjan (1903-1978) armenisch-georgische. Vasily Kalinnikov (1866-1901), der dritte Komponist des Abends, ist wieder russischer Herkunft. GMD Kütson ist in Talinn (Estland) geboren und die Solistin des Abends, die Pianistin Mariam Kharatyan kommt aus Armenien.

Zu hören ist auch Musik von der neuen CD der Sinfoniker

Wer bei dieser osteuropäisch geprägten Musik vornehmlich folkloristisch orientierte Musik mit einem Schuss emotionaler russischer Seele erwartet hat, wurde zumindest bei Kalinnikovs Sinfonie Nr. 1 g-Moll nicht fündig (Das Werk ist auch auf der neuen CD der Niederrheinischen Sinfoniker zu hören). Diese außergewöhnliche Musik, komponiert 1895, erinnert in der Harmonieseligkeit, der Leichtigkeit und der mitreißenden Dynamik sehr an den romantischen Stil, etwa dem von Mendelssohn-Bartholdy. Die im ersten Satz vielfach wiederholte, einprägsame Melodie wirkt, je häufiger sie erklingt, wie ein Gassenhauer. Man erkennt sie dann im letzten Satz wieder, wohl etwas dezenter, aber der große Bogen der 40-minütigen Sinfonie wird über klangliche Höhen und Tiefen bis zum Finale eindrucksvoll und weit gespannt. Wie Kütson die Struktur des Werkes gestaltete, linear-verwoben, dynamisch-bewegt bis aufbrausend-emotional, das war große Interpretation, vom Orchester präzise, facettenreich, schwungvoll und im 2. Satz „Andante commodamente“ einfühlsam in Klang umgesetzt. Beeindruckend, wie das Orchester, vor allem die Gruppe der Blechbläser, mit Engagement und Leidenschaft das Finale „Allegro risoluto“gestalteten. Diese Sinfonie war der Höhepunkt des kompositorischen Schaffens von Kalinnikov, dem der Erfolg trotz der Unterstützung von Tschaikowsky und Rachmaninow nicht vergönnt war. Er litt an Tuberkulose und er starb arm und krank zwei Tage vor seinem 35. Geburtstag.

Das Konzert begann mit dem „Märchenbild Op. 62“ von Anatoli Ljadow. Klangfarben unterschiedlichster Art und empfindsame Harmonien beschreiben einen „verzauberten See“. Kütson beginnt behutsam mit sensibel und achtsam sich entwickelnden Klängen, sehr naturnah entworfen, mal flächig und farbig, mal glitzernd. Es entwickelt sich zu einem Klanggemälde, das von den Musikern mit viel Ruhe und Beschaulichkeit gestaltet wurde. Man spürt den Zauber des Augenblicks, wenig Metrum und doch fließende Bewegung.

Ein ganz anderer Klang begegnete dem aufmerksamen Publikum in Chatschaturjans  Klavierkonzert Des-Dur Op. 38. Ein forscher Auftritt und ein ebenso forscher Beginn der Pianistin Mariam Kharatyan vermittelte eine Expressivität, die den spätromantischen Gestus weitgehend hinter sich lässt. Die kühnen, teilweise freitonalen Harmonien prägten den Stil dieser Musik, die im 20. Jahrhundert entstanden ist. Transparent gestaltete Klaviersoli, kraftvolle Bläser-Einsätze, ein bewegtes Orchester. Kütson gelang eine überzeugende Verbindung der unterschiedlichen Ausdrucksfacetten: mal fest zupackend und voll dynamischer Spannung, wie im ersten Satz „Allegro ma non troppo e maestoso“, dann im „Andante con anima“ eine düstere Stimmung, von der Bass-Klarinette stimmungsvoll dargestellt. Hier spürte man die russische Seele, die auf einem kaukasischen Volkslied basiert. Im Finale gelingt dem Orchester eine wahrlich triumphierende Klangorgie. Nicht zu vergessen der vielgestaltig auskomponierte Klavierpart. Auch wenn das Klavier konzertant oft in den symphonischen Gesamtklang des Orchesters integriert war, so begeisterten die kadenzartigen Soli, die Kharatyan ebenso feinfühlend wie ausdrucksstark interpretierte und machten ihre Interpretation farbig und variabel. Mal nachdenklich, mal stürmisch-engagiert, gelang ihr ein mitreißendes Klavierspiel. Es gab begeisterten Applaus und Bravorufe, und eine kleine Zugabe.