Konzert Wenn Bandoneon dem Bass zuzwinkert
Krefeld · Die Eröffnung des Bandoneon-Festivals in der Fabrik Heeder in Krefeld zeigte die große Bandbreite des Instruments. Einen Ehrengast gab es bei dem Konzert unter Corona-Bedingungen zudem auch.
Wenn ein Bandoneon auch mal wild in geballten Tönen – Clustern – hinauffährt, perkussiv geschlagen, gekratzt und im nächsten Augenblick schließlich in feinster lyrischer Manier zum Singen gebracht wird – ja, dann ist in Krefeld Bandoneon-Festival.
Wenn zugleich ein Kontrabassist mit seinem Instrument die wunderbarsten Klangnuancen hervorzaubern kann, in herrlich bunten Spieltechniken immer mit Witz und Freude am doppelbödigen Klangspiel mit jenem Bandoneon in einen wirklich kongenialen Dialog auf Augenhöhe tritt, dann ist es eine Sternstunde des zeitgenössischen Tangos. Wenn obendrein aber auch noch Werke erklingen, die auf so schöne Weise postmodern mit Tradition und Bruch, mit Melancholie und Ironie, immer aber authentisch und ehrlich umgehen, und dabei dennoch gerne die Hörgewohnheiten des Publikums ein wenig auf die Probe stellen, dann ist es ein Konzert, das vielen in Erinnerung bleiben wird. Wenn sich dann der Kontrabassist schließlich auch noch in der großen Kunst des Obertongesangs übt und aus seinem Kopf mehrstimmige, flötend-sphärische Klänge emporsteigen in die leider durch einen Vorhang gebremste Akustik der Fabrik Heeder, dann bleiben nur wenige Wünsche offen.
Konzert findet unter
Corona-Bedingungen statt
Finden Sie das zu euphorisch? Nun – das Eröffnungskonzert des Bandoneon-Festivals 2020, das zum Glück trotz Corona stattfinden darf, wenngleich mit weniger Publikum, zeigte auf besonders deutliche Weise, was dieses Festival sein kann. Trotz etwas pointillistisch auf Abstand sitzendem Publikum und dadurch irgendwie einer etwas kälteren Stimmung ist dieses Jahr die Fabrik Heeder ein Ort, an dem das Bandoneon in seiner Vielfalt gezeigt wird. Ein Ort, an dem das in Krefeld erfundene Instrument zwar eng mit dem argentinischen Tango verbunden, aber dennoch frei im ästhetischen Spektrum aller Musik waltend offen für mehr ist als eine Reproduktion einer verfestigten Tradition. Das zweijährlich stattfindende Festival bietet natürlich auch das Gewohnte – aber auf schöne Weise nicht an diesem Abend.
Das Duo spielt auch Adaptionen von Buxtehude und Bach
Marcelo Nisinman, der Bandoneon-Künstler und Komponist, und sein Gegenpart am Bass, Winfried Holzenkamp, haben im Dialog genau das bewiesen. In ihrem freien Spiel mit Tradition und zeitgenössischer Inspiration, die sich gerne an der breiten Palette avantgardistischer Spieltechniken bedient, aber umso mehr den singenden, feinen Ton auch sucht, entführten sie die Zuhörer in durchaus beachtliche musikalische Wechselbäder. Da kann es auch mal heißen „Kill yourself step by step and be free“, das wohl exzentrischste Stück des Abends, was Nisinman dann doch vom Anfang kurzerhand in die Mitte des Programms verlegte. Oder er befragt augenzwinkernd in „Argentinos en Europa“ musikkulturelles Erbe.
Der 1970 in Buenos Aires geborene Musiker, der übrigens in der Schweiz lebt, kann sowohl klassischen Tango mit stets impulsiven, kraftvollen, niemals zu sentimentalen oder zu überbordend überzeichnenden Passagen in heutige Ästhetik holen. Er kann aber auch Piazzollas schon von vornherein als konzertante Kunstform geschaffenen Tango Nuevo so spielen, dass es überzeugt. Dabei lässt er sein Instrument, das oft der menschlichen Stimme so nahe scheint, tief atmen, lässt es auch bisweilen nur kurz aufschreien, bleibt aber immer in Kontrolle zwischen Ekstase und Klangkultur. Hin und wieder wünschte man sich vielleicht etwas weniger Bruch, etwas weniger ruppige Wechsel im Sentiment. Doch gerade in dieser Spannbreite liegt wohl auch das Geheimnis des Künstlers. Wie so oft – auch im Tango und auch hier – spielen die kurzen Momente des Innehaltens, die Pausen, der Atem, das Ansetzen der neuen Phrase eine tragende Rolle. Wie schön, wenn sich hierbei das Duo blind vertrauen kann.
Nisinman adaptiert mit Vorliebe – etwas, was ihn mit Piazzolla verbindet – Musik „alter Meister“. Etwa von Buxtehude oder ein „Adagio“ von Bach. Hier kommen die polyfonen, für eine kultivierte Mehrstimmigkeit geschaffenen, Qualitäten von Heinrich Bands Instrument zu einer aparten Geltung. Wenn dann der gleichaltrige Winfried Holzenkamp, an dessen Spiel man die Spuren seines Studiums in Köln durch jede Pore hindurch spürt, noch sanft über die Saiten glissandierend gleitet, eloquent zupft und rupft, auf dem Bass singt wie auf einem Cello, entstehen herausragend inspirierte Momente. Und trotz allem Auftrumpfen mit untrüglichem Spürsinn für das rechte „Moment“ – alles wirkt durchaus rein. Aufgesetzten Pathos in Geste und Antlitz der beiden gibt es kaum; wenn, dann mit einem Zwinkern, der sagt: Ja, wir überspannen hier gerade einen Hauch. Vielleicht braucht es auch deshalb das Hineinsinken und Konzentrieren auf ihre Musik, um sich mitreißen zu lassen. Übrigens: Holzenkamp studierte auch in Buenos Aires. Und er kann auch Ukulele spielen. Kein Wunder, dass sich Nisinman, der charmant durch den Abend moderierte und auch Anekdoten zum Besten gab, über sein „Ensemble“ in einer Person begeisterte.
Argentinischer Konsul trägt sich in Gästebuch der Stadt ein
Weil wir gerade über das Moderieren gesprochen haben. Bei der Eröffnung des Festivals wurde auch Weiteres gesprochen. Oberbürgermeister Frank Meyer hielt eingangs eine Rede, in der er auch auf das soziokulturelle Erbe des Bandoneons einging. Zudem stellte er den Ehrengast des Abends vor – den argentinischen Konsul in Bonn, Eduardo Nazareno Muñoz, der sich auch bildwirksam in das Gästebuch Krefelds eintrug.
Aufgrund des geringen Platzangebotes unter Corona-Bedingungen sind alle Konzerte ausgebucht.