Wie Klänge Emotionen wecken
Musiktherapeut Gerd Rieger liebt das Improvisieren und setzt auf die heilsame Wirkung der Töne.
Krefeld. Gerd Riegers erstes Instrument war ein Akkordeon. Für ein Klavier war die Nachkriegswohnung zu klein. Fleißig lernte der kleine Gerd, auf den Knöpfen links zu spielen und gleichzeitig rechts die Tasten zu drücken. Jahrzehnte später beherrscht er fast jedes gängige Instrument.
Sein erklärter Favorit ist das Saxofon: „Es ist frech, schrill und manchmal böse.“ Doch das gute alte Akkordeon setzt Rieger gezielt in seiner musiktherapeutischen Arbeit ein. „Mit dem Instrument bin ich beweglich, kann mich drehen, tanzen und dabei mit meinen Patienten sprechen“, sagt der 64-Jährige.
Vor 35 Jahren kommt der gebürtige Düsseldorfer nach Krefeld. Der studierte Sozialpädagoge baut eine Beratungsstelle für Spätaussiedler auf. „30 Jahre habe ich diese Arbeit gemacht“, erzählt Gerd Rieger. „Später gründete ich Musikgruppen für Jugendliche, um ihnen bei der Integration zu helfen. Über die Musik konnten sie Kontakte knüpfen und Fuß fassen.“
Als 1980 seine Tochter Anne und 1982 sein Sohn Philipp mit Down-Syndrom geboren werden, ändert sich Riegers Welt. Sein Engagement gilt nun der Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderung. Musik ist für ihn das geeignete Medium für mehr Lebensqualität und Freude.
Er erweitert seine musikalischen Fähigkeiten, studiert in Salzburg Musiktherapie und beschäftigt sich fortan intensiv mit improvisierter Musik. „Sie war der Weg, um an den emotionalen Gehalt von Problemen heranzukommen“, erklärt Rieger. Die Musik wird seine Sprache. „Ich wollte die Menschen mit psychischen und körperlichen Beeinträchtigungen stärken“, sagt Rieger, heute zweiter Vorsitzender der Lebenshilfe Krefeld. Vor 15 Jahren gründete er die Band der Lebenshilfe, „Rock am Ring“, in der seine Kinder mitspielen.
Später leitete Rieger Ensembles für Jazzimprovisation. 2005 lernt er das Kölner „Improvisiakum“ kennen. „Wie dort Musiker, Lehrer, Künstler und Studenten gemeinsam aus dem Nichts heraus frei musizierten, hat mich umgehauen“, sagt Rieger.
Doch in Krefeld gibt es keine Szene für improvisierte Musik. Rieger sucht nach einem geeigneten Ort und findet schließlich im Werkhaus Verständnis für seinen Wunsch nach kreativen, experimentellen Klängen. Wenn sich ein paar Musiker zusammensetzen und aus dem Stegreif Kompositionen erfinden, muss das nicht im Chaos enden. Im Gegenteil: Unerhörte Klänge können das Ergebnis sein.
Gerd Riegers Workshop „Unerhört“ ist heute eine Institution, weit über Krefelds Grenzen hinaus bekannt. Seit 2008 treffen sich Musiker alle zwei Monate sonntags im Werkhaus. Und einmal im Jahr organisiert Rieger eine große Veranstaltung.
Im kommenden Mai findet anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Rings für Gruppenimprovisation sogar ein viertägiges Festival im Südbahnhof statt. „Mitmachen ist ausdrücklich erwünscht“, sagt Rieger.