Krefeld-Uerdingen Metaller sagen Siemens Kampf an
600 in der Region Beschäftigte der Metall- und Elektrobranche folgen Aufruf der IG Metall. Sie fordern mehr Lohn und Flexibilität im Job.
Uerdingen. Man hört und sieht ihn schon von Weitem. Mit heulenden Handsirenen und signalroten Tröten schiebt sich der Demonstrationszug durch die Uerdinger Einkaufsstraße zum Marktplatz — an der Spitze rollt das Düsseldorfer Quartett The Four Shops im Einkaufswagen voran und stachelt die Demonstranten zum Mitgrölen auf ihre funkigen Beats an: „Es läuft was schief mit dem Tarif.“
Knapp 600 Beschäftigte sind dem Aufruf der IG Metall zum Warnstreik der Metall- und Elektroindustrie gefolgt, so die Schätzungen der Polizei. Die Gewerkschaft fordert sechs Prozent mehr Gehalt für Mitarbeiter und eine Reduzierung der Arbeitszeit auf eine 28-Stunden-Woche für einen Zeitraum von zwei Jahren — mit der Garantie, anschließend in den Vollzeitjob zurückzukehren. „Nach drei Verhandlungsrunden sind die Tarifpartner noch ziemlich weit auseinander“, sagt Ralf Claessen, Geschäftsführer der Krefelder IG Metall. „Die Arbeitgeber bieten zwei Prozent und eine Einmalzahlung von 200 Euro. Dafür fordern sie noch mehr Flexibilität, eine Erhöhung der 18-Prozent-Quote für 40-Stunden-Verträge und die Abschaffung von Mehrarbeitszuschlägen.“
Die Krefelder Beschäftigten von Siemens und Siempelkamp, THK und Presswerk oder dem spanischen Unternehmen Ormazabal sind kampfbereit; auch aus dem Kreis Kleve und dem Kreis Viersen sind Busse mit Mitarbeitern umliegender Firmen der Metall- und Elektrobranche in die Rheinstadt angereist. „Schluss mit Stellenabbau, Leiharbeit und Niedriglohn“ steht auf ihren handgeschriebenen Plakaten und: „Unbefristete Übernahme aller Azubis, Festeinstellung aller Leiharbeitskollegen.“ Die Hoffnungen, dass bei der nächsten Verhandlungsrunde heute in Baden-Württemberg „etwas besseres auf den Tisch gelegt wird“, sind bei den meisten aber verhalten: „Ich glaube nicht, dass wir sechs Prozent mehr Gehalt erreichen, aber vielleicht kann man sich annähern“, sagt Martina Simons, die als Disponentin bei Siemens an der Duisburgerstraße in Uerdingen arbeitet. „Die Arbeitgeber machen sich die Taschen voll — so kann es nicht weitergehen.“
Das macht auch Siemens-Mitarbeiter Jens Köstermann vom Krefelder Ortsvorstand der IG Metall auf der Bühne deutlich: „Die Wirtschaft brummt, ihr geht’s so gut wie lange nicht mehr — wir haben unseren fairen Anteil daran verdient.“ Stattdessen habe Siemens angekündigt, mehr als 6000 Stellen, viele davon in Ostdeutschland, abzubauen — nach einem Rekordjahr 2017 mit mehr als sechs Milliarden Euro Gewinn. Das Zugeständnis der Arbeitgeber sei kein Angebot, schimpft Köstermann, „das ist eine Provokation!“. Das Publikum signalisiert mit ohrenbetäubendem Tröten seine Zustimmung. Hinzu kämen Arbeitszeiten rund um die Uhr, „so wie es dem Arbeitgeber passt. Wir wollen, dass unsere Arbeitszeit auch besser zu unserem Leben passt.“
Auch Mitstreiter Frank Endemann (Siemens) macht eine deutliche Ansage durchs Mikrofon: „Es geht um unsere Gesundheit, die darf nicht vom Geldbeutel abhängen.“ Mehr Planbarkeit, Selbstbestimmung und Freiheit zur Gestaltung des Lebens außerhalb des Jobs sind seine Forderungen. Davon sei man derzeit weit entfernt. „Mehr als die Hälfte der Beschäftigten schiebt Überstunden, 1,8 Millionen im vergangenen Jahr — davon die Hälfte unbezahlt.“
Auch Rednerin Andrea Zayak arbeitet bei Siemens — und sie kümmert sich um ihren schwerkranken Vater, die seit Jahren pflegebedürftige Mutter. „Wie soll ich meine Eltern ohne Erholungsurlaub vernünftig unterstützen?“ Von einer Passantin am Rand der Veranstaltung, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, erntet sie Unverständnis: „Erholungsurlaub? Ich habe vier Kinder und ein Haus, um das ich mich alleine kümmern musste — meine Schwiegereltern habe ich 17 Jahre lang gepflegt. Dafür habe ich keinen Cent bekommen.“ Mehr als Kopfschütteln hat Reinhold Deutzmann für das Geschehen auf dem Marktplatz nicht übrig: „Es geht alles friedlich zu, da können sie von mir aus so viel streiken wie sie wollen. Aber sechs Prozent mehr Lohn? Das werden sie nie bekommen!“, glaubt der Uerdinger. „Und eine 28-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich? Wer soll das finanzieren?“