Rente: Wenn Arbeit sich nicht mehr lohnt
Hannelore H. verdient sich 400 Euro zur Rente hinzu — nun soll sie einen vierstelligen Betrag zurückzahlen.
Krefeld. Sie war über 45 Jahre verheiratet, hat zwei Kinder großgezogen und 50 Jahre lang in die Rentenversicherung eingezahlt. Vor einem Jahr ist ihr Mann gestorben. Weil der überwiegend selbstständig war, ist die Hinterbliebenenrente gering, und ihre eigene auch, weil sie — wegen der Kinder — überwiegend halbtags gearbeitet hat. Hannelore H. ist 72 Jahre alt. Um sich ein wenig mehr leisten zu können, arbeitet sie nach wie vor in der Buchhaltung eines Krefelder Unternehmens auf 400-Euro-Basis.
Ein Fragebogen der Deutschen Rentenversicherung hat Hannelore H. dieser Tage einen Schock versetzt. Sie soll 40 Prozent ihrer Einkünfte über dem Freibetrag von 781 Euro an die Sozialversicherung zurückzahlen, und zwar für die vergangenen zwölf Monate, in denen sie auch Hinterbliebenen-Rente erhalten hat — insgesamt ein Betrag von rund 1500 Euro. „Das Geld habe ich gar nicht, ich muss abstottern“, stellte Hannelore H. fest.
Sie gehört zu der Mittelschicht, an der sich Vater Staat immer mehr gütlich tut und denen seit Jahren das Gefühl vermittelt wird, dass es nur noch abwärts geht. Hannelore H. lebt in einem 89 Jahre alten Einfamilienhaus, zusammen mit ihrem alleinerziehenden Sohn und der Enkelin. Sie gönnt sich den Luxus eines kleinen Autos, des billigsten Rumänen, den es hierzulande gibt. Explodierte Spritpreise, höhere Heizkosten, Müllgebühren und Straßenreinigung machen Menschen wie Hannelore H. zu schaffen. „Die Dichtheitsprüfung unseres Kanals und die voraussichtliche Reparatur muss ja auch noch finanziert werden.“
„Über sieben Euro mehr für Hartz-IV-Betroffene wird wochenlang gestritten, die einprozentige Rentenerhöhung zum 1. Juli als Glanzleistung gefeiert, aber über das Abkassieren von der Rente spricht keiner“. Petra Weber von der Pressestelle der Deutschen Rentenversicherung stellt klar, dass die Reform Mitte der 1980er Jahre „Wille der Politik“ war, als Männer und Frauen bei der Hinterbliebenenrente gleichbehandelt werden mussten. Damit Firmen nicht nur günstige und „leicht zu handelnde“ Rentner einstellen, seien auch für sie Abzüge eingeführt worden.
Erzürnte Anrufer scheint H.’s Sachbearbeiter bei der Sozialversicherung in Münster häufiger an der Strippe haben: „Ihre Mutter soll zum Sozialgericht gehen“, riet er dem Sohn der 72-Jährigen, die Zeit sei reif für eine Klage. Hannelore H. ist vorsichtig: „Das kostet wieder Geld und Nerven, dauert vielleicht Jahre. Vielleicht klagt ja jemand anderes.“