Stadtgeschichte Die Stars schwärmten vom Seidenweberhaus

Krefeld · Das werden nicht viele Leser mehr wissen: Für den Moerser Hanns Dieter Hüsch war Krefeld immer die Stadt, die er in seiner niederrheinischen Kindheit oft durchkreuzt hat und zwar auf dem Wege nach Viersen und Süchteln.

Uschi Baier blättert durch das „Goldene Buch“ des Seidenweberhauses, in dem sich die Stars der damaligen Zeit verewigt haben.

Foto: Ja/Jochmann, Dirk (dj)

„Heiliger Niederrhein, ohne dich, wäre ich nicht Kabarettist geworden. Danke!“ Das Lippenbekenntnis eines der bekanntesten und erfolgreichsten Vertreters des deutschsprachigen literarischen Kabaretts (1925-2005) kann man so oder so verstehen. Ist er nur rasch durchgefahren oder gar für viele Stunden geblieben? Auf jeden Fall am 17. Mai 1979 ist er länger in Krefeld geblieben. An dem Abend ist er in einer der damals gefragtesten Veranstaltungshallen am Niederrhein aufgetreten, wie sein Eintrag ins „Goldene Buch“ des Seidenweberhauses beweist. Dort hat sich das „Who is Who“ der Kultur- und Unterhaltungswelt die Klinke in die Hand gegeben.

Im Nachlass 50 Jahre später das erste Gästebuch entdeckt

Günter Baier war der erste Geschäftsführer der Seidenweberhaus GmbH und leitete gemeinsam mit seinem Vertreter Günter Ihlenfeld bis zu seinem Wechsel 1981 zur Igedo Düsseldorf die Belange und Geschicke des „Betonklotzes“, wie die Krefelder zu Beginn die damals neue sechseckige Veranstaltungshalle aus Beton nannten, bis der Name „Seidenweberhaus“ gefunden war. Im Sommer vor drei Jahren hatte der gelernte Düsseldorfer Messekaufmann unserer Redaktion aus dieser Anfangszeit erzählt. Im November 2022 ist er im Alter von 83 Jahren verstorben. Seine Frau Uschi Baier kam vor kurzem aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, als sie in seinem Nachlass überraschend das „Goldene Buch“ der Anfangsjahre fand. Das hatten seine Mitarbeiter ihm als Kopie zum Abschied 1981 als schöne Erinnerung geschenkt.

Hanns-Dieter Hüsch verrät 1979 in diesen Zeilen, wieso er Kabarettist geworden ist.

Foto: Ja/Jochmann, Dirk (dj)

Von Klassik und Swing bis zu Schlager und Blödeleien

Kurt Masur mit dem Gewandhausorchester trat im Mai 1976 auf.

Foto: Ja/Jochmann, Dirk (dj)

Das Gästebuch des Seidenweberhauses mit prominenten Namen führt zurück in die goldenen Zeiten des Showbiz. In den ersten fünf Jahren fanden dort über 500 Veranstaltungen statt, jede Woche standen zwei andere Künstler oder Bands auf der großen Bühne. „Als erster Gast – ein schöner Saal (ohne Klimaanlage noch schöner)“, bedankte sich am 14. Januar 1976 der deutsche Cellist Siegfried Palm (1927-2005), der besonders als Interpret zeitgenössischer Musik bekannt wurde. Keine zwei Wochen später stand Jacques Loussier (1934-2019) mit seinem Trio in Krefeld auf der Bühne. Der französische Pianist war vor allem für seine Reihe Play Bach bekannt.

Dass damals schon große Sinfonie-Orchester (wie heutzutage die Niederrheinischen Sinfoniker) die Akustik des Seidenweberhauses zu schätzen wussten, beweist der Auftritt des Leipziger Gewandhausorchester unter dem Dirigat des damals 49-jährigen Kurt Masur im Mai 1976.

Reinhard Mey ist bis heute einer der populärsten Liedermacher.

Foto: Ja/Jochmann, Dirk (dj)

Doch auch Schlager, Balladen und Swing waren musikalisch in Krefeld vertreten. „Es war der Teufel los“, erinnert sich Günter Ihlenfeld. Bata Illic sang am 26. März 1976 „Mit verbundenen Augen und Schuhe, so schwer wie Stein“ und natürlich von „Michaela“ (seinem größten Erfolg) und dankte es den Verantwortlich mit den Worten: „Für alle netten Mänschen im Seidenweberhaus meine beste Wünsche und Grüße!“. Reinhard Mey schrieb nach seinem Auftritt im Juni 1977 „In herzlicher Erinnerung! Auf bald!“ Nicht nur über den Wolken, schien das Leben (und die Lebensfreunde) grenzenlos. Und für die Freunde von Jazz und Swing trat das „Golden Gate Quartett“ und die Big Band der Bundeswehr auf.

Geblödelt wurde natürlich auch: Otto verewigte sich in dem „Goldenen Buch“ mit einem Foto von sich inmitten gemalter Ottifanten, Jürgen von Manger alias “Adolf Tegtmeier“ verblieb als Dank im Ruhrgebiets-Slang mit „Schöne Grüße! (ääährlich!!!) und Karl Dall blödelte für die Insterburger. Und für rockige Töne (ohne Bestuhlung) sorgte Suzi Quatro.

Ernste, aber lobende Töne hingegen stimmten die damalige Bundestagspräsidentin Annemarie Renger (SPD) und Oberbürgermeister Hansheinz Hauser an bei der großen Jubiläumsfeier der Westdeutschen Zeitung zum 100-jährigen Bestehen im Seidenweberhaus. 48 Jahre später ist das nachzulesen im „Goldenen Buch“ des verstorbenen Günter Baier.