Tschüss, Turbo-Abi

Die neue NRW Landesregierung hat die Weichen gestellt und jetzt entscheiden die Gymnasien in Krefeld über G8 oder G9.

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Tschüss, Turbo-Abi — willkommen zurück, G 9! Groß ist die Überraschung über die seit 2005 vielfach geforderte Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren und dem damit verbundenen neuen Schulgesetz, dessen Entwurf das Landeskabinett in Düsseldorf am Dienstag beschlossen hat, an Krefelds Gymnasien nicht. Dort freut man sich, wenn überhaupt, eher verhalten. Kein Wunder, die Rolle rückwärts bedeutet doch für Lehrer vor allem wieder eines: eine organisatorische Herausforderung.

Davor und einer „erneuten Ernüchterung über das, was bei der Umstellung von der Umstellung“ herauskomme, hatte der inzwischen pensionierte, ehemalige Schulleiter des Fabritianum und Sprecher der Krefelder Gymnasien, zuletzt gewarnt: „Viele glauben, man müsse nur ein Jahr anhängen. Das ist ein Irrglaube.“ Im Vorfeld des landesweiten Volksbegehrens hatte Obdenbusch noch Anfang des Jahres gewarnt, sich einen weiteren Wandel gut zu überlegen — „um erneute Unruhe unter den Schülern und Lehrern sowie vermutlich erneut fehlende rechtzeitige Vorbereitung von Lehrplänen, Büchern und vielem mehr zu vermeiden“.

Jetzt soll der Wandel kommen — die Leitentscheidung für G 9 gilt als Regelfall. Gymnasien, die nicht zum Abi nach 13 Jahren zurückwollen, müssen in der Schulkonferenz mit einer Zweidrittel-Mehrheit für G 8 stimmen. Obdenbuschs Nachfolger am Uerdinger Fabritianum, Eric Mühle, reagiert zurückhaltend auf den Richtungswechsel: „Man muss sich ganz genau anschauen, wie G 9 umgesetzt werden soll. Erst danach kann final entschieden werden, ob man zurückkehrt, oder über einen Verbleib in G 8 nachdenkt“, sagt der Schulleiter. Inzwischen habe man sich in Krefelds Schullandschaft mit dem einst so verpönten Turbo-Abi arrangiert, so Mühles Eindruck, das sei aber kein Argument, an G 8 festzuhalten. „Die Rückkehr zu G 9 ist für die Eltern ein wichtiges Thema. Am Tag der offenen Tür bin ich oft von ihnen darauf angesprochen worden“, sagt er und: „Am Ende des Tages entscheidet auch der Elternwille. Der Großteil der Elternschaft in NRW hat sich für eine Rückkehr zu G 9 ausgesprochen.“

Claudia Wichmann, Vorsitzende der Stadtschulpflegschaft, gehört zu dieser Mehrheit. Sie selbst habe sich bewusst dazu entschieden, ihre Kinder zur Gesamtschule zu schicken, weil sie dort das Abitur in neun Jahren machen können. Auch als Stadtschulpflegschaftsvorsitzende befürwortet sie die Rückkehr zu G 9: „Die Kinder benötigen einfach die Zeit. G 8 hat man damals viel zu sehr übers Knie gebrochen, gerade in der fünften und sechsten Klasse ist der Druck für viele Schüler zu hoch.“ Wichmann fordert: Weg vom Bulimie-Lernen, hin zu einem „System, mit dem wir Wissen dauerhaft vermitteln können“.

Ob das Maria-Sibylla-Merian-Gymnasium die Rolle rückwärts mitmacht, ist laut dem stellvertretenden Schulleiter, Olaf Muti, derzeit ungewiss. „Prinzipiell sind wir da offen, wollen aber erst mit unseren Gremien ins Gespräch kommen und die Stimmung bei Schülern, Lehrern und Eltern dazu einfangen.“ Viel zu vieles sei derzeit noch unklar: „Wann starten wir mir der zweiten Fremdsprache?“, das sei nur eine von vielen Fragen. „Momentan stochern wir im Nebel, das ist sehr unbefriedigend.“

Der Richtungswechsel gebe in erster Linie „dem Drängen und Bedarf von Schüler- und Elternseite nach“, sagt Muti, betont aber auch: „Mit G 9 wird keine Entspannung einsetzen.“ Überhaupt: Das neue G 9 sei mit dem alten nicht zu vergleichen. „Es sind in den vergangenen Jahren viele neue Belastungen wie die Inklusion dazu gekommen. Man kann das Rad nicht einfach zurückdrehen.“

Einfach zum Abitur nach 13 Schuljahren zurückzukehren, als wäre nichts gewesen, ist auch für Anja Rinnen, Schulleiterin am Gymnasium am Stadtpark, keine Option. Stattdessen machte sie bereits im Rahmen des Volksbegehrens Vorschläge, wie es funktionieren könnte: Rinnen wünscht sich Lehrpläne, „die nicht nur weitere Inhalte hinzufügen, weil sich die Unterrichtszeit erhöht, sondern Konzepte, die Wissen vertiefen, eigenständige Arbeitsformen in den Vordergrund stellen und alternative Unterrichtsformen und Lernorte in den Blick nehmen.“ Zu behaupten, G 8 funktioniere nicht, sei falsch, schließlich gebe es genug Schüler mit Abitur. Dennoch halte man an ihrer Schule eine Rückkehr zum Abi nach 13 Jahren für sinnvoll, sagt Rinnen. „Nach zwölf Jahren sind viele Schüler einfach noch nicht so reif.“

Letztlich werde das von Befürwortern aus der Politik gewünschte Ziel von G8, Schüler schneller für den Arbeitsmarkt verfügbar zu machen, nicht erreicht, „da viele ihre Ausbildung nicht sofort nach dem Abi beginnen, sondern eine Orientierungsphase einschieben“, sagt die Schulleiterin. „Ein Jahr mehr, das heißt ja nicht automatisch Entschleunigung.“ Es bedeute vielmehr, die zusätzlich Zeit mit neuen Inhalten zu füllen. Sozialpraktika, wirtschaftliche Fächer, das seien Ideen, findet Rinnen. „Ich hoffe, dass Schulen da mehr Gestaltungsmöglichkeiten und Spielräume bekommen.“