Alkoholsucht "Wir erreichen derzeit nur einen Bruchteil der Alkoholkranken"

Dr. Helmut Eich, Chefarzt der Klinik für Abhängigkeitserkrankungen, im Gespräch über eine Sucht, die immer noch Tabuthema ist.

Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Als Krankheit habe sie ihre Alkoholsucht lange nicht erkannt, sagt Sabrina Schmidt — und damit ist sie kein Einzelfall, das betont Dr. Helmut Eich, Chefarzt der Klinik für Abhängigkeitserkrankungen des Krankenhauses Maria Hilf, im Interview.

Ein Gespräch über das mangelnde Verständnis dafür, dass Alkoholismus eine chronische Erkrankung ist, über Hilfsangebote und mögliche Wege aus der Sucht.

Herr Eich, Sie sagen, Alkoholsucht ist ein gesellschaftliches Tabuthema — wie kann man das ändern?

Dr. Helmut Eich: „Entstigmatisierung ist wichtig. Wir müssen Alkoholismus behandeln wie jede andere Erkrankung auch. Zu oft wird noch weggeschaut, moralisiert, nach dem Motto: Ein Suchtkranker ist nicht krank, sondern willensschwach und deshalb selbst schuld an seiner Situation. Wir erreichen aktuell nur zehn Prozent der Betroffenen mit unserem Hilfesystem. Die Aufklärung im ambulanten Bereich muss besser werden. Motivation über den Hausarzt, der Patienten etwa bei erhöhten Leberwerten auch auf mögliche Alkoholprobleme anspricht, ist ganz wichtig.“

Wie geraten Patienten in die Alkoholsucht?

Eich: „Schicksalsschläge, beruflicher oder familiärer Stress können Gründe dafür sein. Alkohol tut in solchen Situationen gut: Er betäubt, euphorisiert, sorgt für bessere Stimmung.“

Wann trinke ich nicht mehr nur viel, sondern bin abhängig?

Eich: „Abhängigkeit bedeutet, nicht aufhören zu können. Betroffene denken ständig an Alkohol, ihr Leben konzentriert sich aufs tägliche Trinken — damit geht häufig ein sozialer Rückzug einher. Alkoholiker entwickeln Alkohol gegenüber eine Toleranz. Das bedeutet, sie vertragen immer mehr und brauchen auch immer mehr Alkohol, um gewünschte Effekte wie Betäubung oder Euphorisierung zu spüren. Typisch ist auch der Kontrollverlust: Man will mit dem Trinken aufhören, schafft es aber nicht. Und wenn man aufhört, leidet man unter Entzugserscheinungen.“

Wie sehen die aus?

Eich: „Schwitzen, erhöhter Blutdruck, Zittern bis hin zur Krampfanfällen, im schlimmsten Fall ein Delir mit Bewusstseinstrübung, Verwirrtheit und optische Halluzinationen. Weil ein Entzug lebensbedrohlich sein kann, ist ein stationärer Entzug so wichtig.“

Wie können es Betroffene schaffen, nach dem Entzug nicht wieder rückfällig zu werden?

Eich: „Ohne eine Weiterbehandlung funktioniert es vielfach nicht — rein statistisch bleiben nach einer Entgiftung ohne Rehabilitation nur zehn Prozent der Patienten abstinent. Die Therapie arbeitet die Suchtgeschichte auf, außerdem entwickeln Therapeut und Patient Mechanismen, wie Betroffene Suchtdruck und Anziehungskraft von Alkohol in schwierigen Situationen überwinden und es schaffen, abstinent zu bleiben. Es geht darum, Notfallsysteme zu entwickeln oder Rituale entgegenzusetzen: Wen rufe ich im Notfall an? Es kann auch helfen, eine Flasche Wasser zu trinken oder sich mit Sport abzulenken.“

Und nach der Rehabilitation?

Eich: „Statistiken zeigen, dass danach etwa 40 Prozent der Patienten abstinent bleiben. Alkoholsucht ist aber eine chronische Erkrankung — Selbsthilfegruppen können Unterstützung bieten. Bei vielen Patienten auch ein Leben lang.“