Erzählcafé - Tolstoi und Noll in 20 Minuten
Beim Erzählcafé werden Werke verschiedener Autoren vorgestellt, anschließend wird diskutiert — nun schon zum 60. Mal.
Erkrath. Ihr Leben lang hat Liesel Hoffmann gerne gelesen. Jetzt machen bei der 85-Jährigen die Augen nicht mehr richtig mit. Ihre Liebe zu Büchern musste sie deswegen aber noch lange nicht aufgeben. Einmal im Monat besucht sie das Erzählcafé der Stadtbücherei Erkrath.
„Ich debattiere gern, deshalb macht mir das sehr viel Spaß. Ganz gleich welches Thema — man findet sich immer irgendwie darin wieder“, erzählt Hoffmann. Kürzlich feierte das Erzählcafé ein kleines Jubiläum: Zum 60. Mal stellten Wilma Lang und Winifred Flotho-Fuhrmann ein Buch vor, um im Anschluss mit den Gästen über ein Kernthema daraus zu reden.
Die Idee entwickelten 2007 Büchereileiterin Michaele Ginzel-Reinhardt und Wilma Lang. „Ich war damals Lesepatin. Als ich vom Erzählcafé in anderen Städten im Radio gehört habe, habe ich mich gern etwas Neuem zugewandt“, erinnert sich Lang. Bei einer Fortbildung hatte zur gleichen Zeit Ginzel-Reinhardt von dem Konzept erfahren. Gerade einmal vier Menschen kamen zur ersten Veranstaltung, bei der Lang das Buch „Ladylike“ von Ingrid Noll vorstellte.
Heute sind es jedes Mal zwischen 15 und 20 Menschen. Meist Frauen. „Manchmal ist aber auch der ein oder andere Quotenmann dabei“, sagt Winifred Flotho-Fuhrmann und lacht. Sie stieß ein Jahr später zum Erzählcafé. Generell richtet sich die Veranstaltung an jeden, der kommen möchte. Die literarischen Vorlagen stammen aus allen Bereichen. Auch Tolstoi und Fontane waren schon dabei.
Bei der Jubiläumsausgabe stand „Die schönsten Jahre“ von Elke Heidenreich im Mittelpunkt. In knapp 20 Minuten führte Wilma Lang extrem kurzweilig durch den Roman. Erzählerin Nina, Mitte 40, berichtet darin von der Mailand-Reise, die sie ungewollt mit ihrer Mutter unternimmt.
Eine Herausforderung für die eigentlich schlechte Mutter-Tochter-Beziehung, die ein überraschendes Ende nimmt. Im Roman fallen Sätze wie „Ich tat es aus Pflichtgefühl, nicht unbedingt aus Liebe“ Oder: „Du wirst Deinem Vater immer ähnlicher“ Vor allem von intakten Beziehungen berichteten allerdings anschließend die Teilnehmer.
Beim nächsten Mal, am 19. Juni, 15 Uhr, geht es um das Thema „Achtsamkeit im Hier und Jetzt“, im Vordergrund steht Senecas „Von der Kürze des Lebens“. Ob es noch ein 100. Erzählcafé geben wird? Wilma Lang und Winifred Flotho-Fuhrmann gehen die Ideen noch lange nicht aus.
Und auch Susanne Lilie, mit 91 Jahren die älteste Zuhörerin, will dem Erzählcafé weiter die Treue halten. „Solange mich meine Füße noch tragen, komme ich her. Ich bin trotz meines Alters immer noch wissbegierig“, betont sie.