Vom Hilfsarbeiter zum Gesellen

Rund 100 000 Menschen arbeiten im Bergischen Land auf Helferniveau. Sie können jetzt ohne Ausbildung Facharbeiter werden.

Foto: Stephan Köhlen

Erkrath. Patrick Scali ist 33 Jahre alt und hat zehn Jahre lang bei Albert Bedachungen in Erkrath als Hilfskraft gearbeitet. Seit Ende April ist er endlich geprüfter Dachdecker-Geselle, obwohl er nie eine reguläre Ausbildung absolviert hat. Möglich gemacht hat das die „Weiterbildungsinitiative Bergisches Land“. Unter dem Motto „Weiterbilden - Weiterkommen!“ fördert der Zusammenschluss der Arbeitsagenturen Bergisch Gladbach, Mettmann und Solingen-Wuppertal die Qualifizierung und Prüfung von erfahrenen Hilfsarbeitern. Denn Patrick Scali ist kein Einzelfall.

Bei insgesamt rund 630 000 Beschäftigen arbeiten im Bergischen Land über 100 000 Menschen ohne Ausbildung auf Helferniveau (Agenturbezirk Mettmann: 26 758). Obwohl sie oft erfahrene und zuverlässige Kräfte sind, sind sie die ersten, die bei Stellenabbau ihren Arbeitsplatz verlieren würden. Doch auf auf der anderen Seite wäre eine höhere Qualifizierung gewünscht. Der Wirtschaftsstandort Bergisches Land kann nur zukunfts- und wettbewerbsfähig sein, wenn genügend Fachkräfte zur Verfügung stehen. Die Arbeitsagentur spricht außerdem von den Anforderungen einer „Arbeitswelt 4.0“, in der durch Automatisierung und Digitalisierung viele Arbeitsplätze in Gefahr seien. Der Fachkräftemangel ergibt sich unter anderem aus der demografischen Entwicklung. In den nächsten zehn Jahren werden von den 630 000 Beschäftigten rund 120 000 aus Altersgründen aus dem Erwerbsleben ausscheiden, während gleichzeitig die Zahl der Schulabgänger sinken wird.

Patrick Scali, Dachdecker-Geselle

Obwohl immer mehr Jugendliche die Schule mit dem Abitur verlassen, genügen sie immer weniger den Anforderungen der ausbildenden Betriebe. Viele beginnen ein Studium ohne es beenden zu können, Personal, das dem Handwerk verloren geht. Deshalb ist die Weiterbildung von erfahrenen Hilfsarbeitern eine Win-win-Situation für beide Seiten.

Die Gründe für Hilfstätigkeiten können vielseitig sein. Für Patrick Scali war Schule „nie so sein Ding“, jedenfalls damals. Als er vor acht Jahren zum ersten Mal Vater wurde, wollte er erst recht nicht auf 500 Euro Ausbildungsvergütung zurückfallen und blieb bei der Hilfsarbeit. Dann kam 2016 mit der Weiterbildungsinitiative seine Chance. Wer mindestens fünf Jahre Berufserfahrung vorweisen kann, darf an einem viermonatigen Intensivlehrgang in Mayen teilnehmen. Dort lernt er die Theorie für die Gesellenprüfung der Handwerkskammer, während er den praktischen Teil schon längst durch seine Tätigkeit drauf hat. Die offizielle Gesellenprüfung bestand Patrick Scali schließlich mit lauter Einsen und nur einer Zwei. „Ich habe aus meinen früheren Fehlern gelernt“ sagt er. „Ich bin hingefallen und wieder aufgestanden“.

Mit Berufsabschluss ist Scali nun in einer viel stärkeren Position und kann, zum Beispiel, mehr Lohn fordern. Sein Chef, Dachdeckermeister Jörg Albert, ist stolz auf seinen Schützling und will ihn noch möglichst lange in seiner Firma halten. Wer weiß, vielleicht kann er in ihm einen möglichen Nachfolger heranziehen? „Bis zur Rente ist dieser Beruf nicht machbar“, weiß Jörg Albert. „Ich habe 30 Jahre auf dem Bau gearbeitet und meine Knochen sind jetzt schon hin“. Danach könne man etwa im Vertrieb arbeiten oder als Berater für Photovoltaik. „Wir bieten diese Weiterbildung für ganz viele Berufe an“, sagt Marcus Kowalczyk, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Mettmann. „Die Handwerkskammer hat maßgeschneiderte Angebote für Menschen in dieser Situation, und wir stellen alleine dieses Jahr zehn Millionen Euro an Fördermitteln bereit“.