Stark rückläufige Mitgliederzahlen, damit verbunden sinkende Kirchensteuereinnahmen, Personalabbau und Sparzwänge. Angebote, die weniger genutzt werden als gedacht. Für das Presbyterium der Evangelischen Kirchengemeinde waren dies Aspekte, einen Prozess zum Neuaufbau von Kirche in der Stadt anzustoßen. Am Sonntag, 23. März, soll das Projekt beginnen – dessen Ergebnis und Ende noch völlig unklar ist. Zwischen 15 und 18 Uhr sollen alle, die irgendein Interesse oder irgendwelche Erwartungen an Kirche haben, bei der ersten Suche nach dem Weg in die Zukunft mitmachen können. Die evangelische Kirche, Kaiserstraße 44, bietet dafür nur den Raum für das Vorhaben, das „Unboxing Haan“ genannt wird.
„Wir haben Großes vor“, kündigt Sarah Weidner an. Die 25-Jährige ist als Gemeindemanagerin selbst schon eine Besonderheit im Kirchenkreis. Seit Herbst 2022 entlastet sie die Pfarrer wirksam von Verwaltungsaufgaben und schaufelt ihnen Zeit für seelsorgerische Arbeit frei. Der Rahmen für und von Kirche hat sich in den letzten Jahren schon stark gewandelt: Von 2013 bis 2023 (jüngere Zahlen gibt es noch nicht) sank die Zahl der Mitglieder in Haan von rund 8000 auf nur noch 6280. Damals gab es noch vier Pfarrstellen (auf einer wurde Superintendent Frank Weber geführt), heute mit Christian Dörr und Christoph Helbig nur noch zwei Pfarrer. Das Gemeindehaus Flemingstraße wurde längst aufgegeben und abgerissen; gerade läuft wieder eine Untersuchung über den Raumbedarf für die Arbeit in Haan. Absehbar ist auf jeden Fall, dass es in der Kirchen-Kooperation (mit Hilden) Süd personell nicht besser werden wird.
„Wir sind gut im Diskutieren, aber schlecht im Sich-Verändern“, zieht Christoph Helbig, Vorsitzender des Presbyteriums, einen Schlussstrich. Mit Blick auf die Herausforderungen der Zukunft stelle sich die Frage, wo Kirche in der Stadt präsent sein müsse. Dirk Raabe, stellvertretender Vorsitzender, sieht derzeit eine „großartige Chance“, sich in der Stadt noch besser einzubinden und mit anderen zu vernetzen. Vor etwa zehn Jahren hatte es einen Versuch gegeben, einen Runden Tisch der Kirchen und Hilfsorganisationen einzurichten. Das Instrument erwies sich aber nicht als das Richtige und schlief ein.
Im Projekt soll Kirche als lebendiger Ort in der Stadt Haan gedacht werden. Es gelte, herauszufinden, wie Kirche in Haan neu entdeckt, neu „ausgepackt“ werden kann. Dabei kann es durchaus auch Experimente geben und auch Scheitern sei erlaubt, betont Christoph Helbig.
Am Anfang des neuen Weges steht zunächst ein Bruch: Am 23. März gibt es keinen Sonntags-Gottesdienst um 11 Uhr. Nachmittags um 15 Uhr beginnt der Prozess. In knappen Worten wird im Kirchenraum das Vorhaben skizziert. Dann können Teilnehmer zu Stationen wechseln – ob bei der Suche nach „heiligen Orten“ in Haan, ob bei Popcorn oder bauen mit Klemmsteinen. Um 18 Uhr wird es eine Art Gottesdienst geben, damit der erste Nachmittag auch unter Gottes Segen steht, betont Pfarrer Helbig.
„Der Prozess stellt das Kirchenverständnis auf den Kopf“, sagt der Seelsorger. Seit Jahrhunderten sei Kirche angehalten, sich immer wieder zu reformieren. Jetzt gelte es, zu experimentieren, Bewährtes zu bewahren und zugleich Neues zu wagen. Denkbar sei auch, dass manche Dinge aufgegeben werden, etwa weil heute andere Ansprüche oder Grundlagen bestehen. Es solle und dürfe auch darüber nachgedacht werden, ob das Kirchenhaus auch künftig nur zu Gottesdiensten genutzt werde oder auch anderen Zwecken dienen könnte.
Was genau am 23. März geplant ist, darüber hüllt sich Sarah Weidner noch in Schweigen. Es sollten Diskussionsräume entstehen, statt fertige Lösungen zu präsentieren. Alle Interessierten können sich beteiligen. Der Prozess wird von der einschlägig bekannten Unternehmensberatung Kairos – Ursula Hahmann und Valentin Dessoy – zunächst über zwei Jahre begleitet. „Für diesen Prozess nimmt die Kirchengemeinde bewusst ,Geld in die Hand’“, sagt Pfarrer Helbig, dem besonders wichtig ist, dass die Menschen miteinander ins Gespräch kommen.