Katholischer Sozialdienst und Polizei gehen von großem Dunkelfeld aus Krise fördert häusliche Gewalt

Hilden/Haan. · Bis Mitte Oktober zählte der SKFM 88 Fälle in Hilden und 32 in Haan, kreisweit 845. Opferschutz-Experten fordern Zivilcourage.

Eva-Maria Düring leitet die Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt des SKFM in Mettmann.

Foto: Köhlen, Stephan (teph)

Frauen werden Opfer von Gewalt, da wo sie sich eigentlich am sichersten fühlen – in den eigenen vier Wänden. Die Täter sind ihre Partner, Menschen, die ihnen am nächsten stehen. Das geschieht beinahe täglich. Der Sozialdienst Katholischer Frauen und Männer (SKFM) zählte in diesem Jahr bis zum Stichtag 15. Oktober 88 Fälle von häuslicher Gewalt in Hilden und 32 in Haan. Kreisweit kommt der Verein auf 845 Fälle: In Mettmann 72, in Erkrath 68, in Wülfrath 29, in Heiligenhaus 44, in Langenfeld und in Monheim jeweils 79, in Ratingen 190 und in Velbert 128.

 Die Polizei hat für 2020 einen vorläufigen Monatsschnitt von 100 Fällen für den gesamten Kreis berechnet. Zahlen für die einzelnen Städte sind in der Polizeistatistik nicht erfasst. Aber: „Häusliche Gewalt kommt definitiv in jeder Stadt im Kreis vor – in Mettmann genauso wie im beschaulichen Wülfrath“, sagt Christoph Vosswinkel vom Opferschutz der Kreispolizei Mettmann. Das Dunkelfeld schätzt sowohl die Polizei als auch der SKFM deutlich höher ein – vor allem in diesem Jahr.

Paare und Familien leben
auf engem Raum zusammen

Denn seit Ausbruch der Corona-Pandemie leben viele Paare und Familien auf engerem Raum zusammen, haben tendenziell mehr Ängste und Sorgen und gleichzeitig weniger Möglichkeiten, diese mit anderen Menschen zu teilen oder in der Freizeit zu verarbeiten. „Dadurch steigt das Konfliktpotenzial erheblich und ich bin der festen Überzeugung, dass hinter den geschlossenen Türen viel Gewalt passiert“, sagt Eva-Maria Düring, die sowohl das Frauenhaus als auch die Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt des SKFM leitet.

Häusliche Gewalt spielt sich in den meisten Fällen zwischen Partnern oder Ex-Partnern ab, teilweise sind auch Kinder oder im Haushalt lebende weitere Familienangehörige mit eingebunden. 80 Prozent der Opfer sind Frauen, berichtet Kriminalhauptkommissar Vosswinkel und konkretisiert die Taten: „Oft fängt es bei Herabwürdigungen und fehlender Wertschätzung an.

Dann geht die Gewalt über in Bedrohungen und Beleidigungen bis hin zu Körperverletzungen, sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen – und reicht bis zum Tötungsdelikt.“ Letzterer sei kein Einzelfall, betont er. „Tötungsdelikte, dazu zählt auch die versuchte Tötung, sind überwiegend Beziehungstaten.“

Während bei dem Opferschutz-Beamten größtenteils die Fälle landen, in denen es bereits einen Polizeieinsatz gegeben hat, suchen die Beratungsstelle des SKFM auch Gewaltopfer auf, in deren Fall die Polizei noch nicht eingeschaltet ist. Die beiden Stellen kooperieren seit Jahren, und beide sind sich sicher, dass sich das Dunkelfeld von häuslicher Gewalt durch die Corona-Pandemie verstärkt hat. „Durch das engere Zusammensein haben viele Frauen gar nicht die Möglichkeit, uns anzurufen – sie stehen oft unter permanenter Beobachtung des Täters“, berichtet Düring.

Das erklärt, warum es bislang keinen eklatanten Anstieg der Fallzahlen gibt: Der Monatsmittelwert von 100 Fällen der Kreispolizei ist laut einem Sprecher nahezu identisch mit dem Wert aus 2019, und auch beim Sozialdienst Katholischer Frauen und Männer (SKFM) Mettmann bedeuten die bislang gezählten Fälle nur eine leichte Steigerung zum Vorjahr (insgesamt 1024 Fälle).

Chance, sich jemandem anzuvertrauen, sinkt

Für Eva-Maria Düring ist das eine Rückwärtsbewegung, denn das ohnehin höchst schambesetzte Thema verlagere sich durch Corona wieder mehr ins Private. „Wir alle sollen derzeit soziale Kontakte vermeiden – für Gewaltopfer bedeutet das, dass die Chance, sich jemandem anzuvertrauen oder auf blaue Flecken angesprochen zu werden, extrem schrumpft.“

Umso wichtiger sei es jetzt, sowohl im privaten Umfeld als auch in der eigenen Nachbarschaft aufmerksam zu sein und bei Lärm, sozialem Rückzug von Freunden oder Familienangehörigen oder äußeren Merkmalen von Gewaltanwendung nicht wegzuschauen, sondern zu handeln. „Weil häusliche Gewalt so ein Tabuthema ist, sind wir dafür nicht genügend sensibilisiert“, sagt Düring.

„De facto ist jede dritte Frau in Deutschland von häuslicher oder sexualisierter Gewalt betroffen – überlegen Sie sich mal, wie viele Frauen Sie kennen“, so Düring