Säureanschlag von Haan Verteidigung zaubert angebliches Alibi aus dem Hut

Haan/Wuppertal · Kurz vor Ende der Beweisaufnahme hieß es plötzlich, der Angeklagte sei zur Tatzeit in Belgrad gewesen.

Mit solchen Plakaten war nach Hinweisen zum Säureangriff auf den Manager Bernhard Günther gesucht worden.

Foto: dpa/David Young

(magu) Um 9 Uhr morgens stellt der Vorsitzende Richter Dr. Klaus Blume fest: „Wir sind durch.“ Gemeint ist damit das Ende der Beweisaufnahme, es hätte also der Tag der Plädoyers werden können in diesem Prozess.: Und dann kommt alles anders. Seit Monaten sitzt Marco L. schon in Untersuchungshaft. Er soll einer der beiden Täter sein, die den früheren Innogy-Manager Bernhard Günther am 4. März 2018 im Haaner Musikantenviertel mit Säure übergossen haben. Der Prozess gegen den Serben läuft seit Dezember 2023. Und nun, kurz vor Ende der Beweisaufnahme, der Paukenschlag: Marco L. soll zur Tatzeit in Belgrad gewesen sein, bei einer Gedenkfeier für seinen 2005 verstorbenen Vater.

Als Prozessbeobachter fragt man sich: Warum wartet ein Angeklagter mit dem Beweis seiner Unschuld bis kurz vor der Urteilsverkündung? Die Botschaft der Verteidigung ist klar: Als Täter komme der 37-Jährige nicht in Betracht. Bezeugen sollen das nun vier Verwandte und der Anwalt der serbischen Familie. Die Verteidiger von Marco L. wollen die Zeugen laden lassen. Die Staatsanwaltschaft hält das für unnötig. Ob das Gericht sie hören will, ist noch nicht klar. Der Richter macht es spannend: Seine Entscheidung will er erst am nächsten Verhandlungstag bekannt geben.

Wie die ausfallen könnte, lässt sich aus Blumes Botschaft an die Verteidiger herauslesen: „Halten Sie sich für die Plädoyers bereit.“ Das klingt nicht danach, als wolle er die Entlastungszeugen aus Belgrad noch einfliegen lassen. Falls doch, wäre es nicht die erste Überraschung in diesem Prozess. Hatten die Verteidiger doch an diesem neunten Verhandlungstag noch ein Handy-Foto des Angeklagten „aus dem Hut gezaubert“, das ihn als Täter ausschließen soll. Datiert auf den 8. März 2018, vier Tage nach der Tat, mit Vollbart und kurzen Haaren. Bernhard Günther will den Angeklagten an dessen Seitenscheitel, einer „Fönwelle“ unzweifelhaft wiedererkannt haben, Marco L. soll dazu noch rasiert gewesen sein. Nun dürften sich die Prozessbeteiligten vor allem eine Frage stellen: Wie ist es um den Bartwuchs des Angeklagten bestellt? In vier Tagen von rasiert bis zum Vollbart: Ist so etwas möglich? Günther hatte den Serben auf einem Facebook-Foto identifiziert und von einem „Klick-Moment“ gesprochen. Seine Aussage dürfte wesentlich sein in einem Prozess, der sich vor allem auf Indizien stützt. Objektive Beweise dafür, dass Marco L. zur Tatzeit am Tatort war, gibt es bislang nicht. Und noch etwas fragt man sich: Kann die Kammer auf Zeugen verzichten, die den Angeklagten entlasten könnten? Falls ja, darf man auf die Begründung des Vorsitzenden gespannt sein. Am 19. Februar soll der Prozess fortgesetzt werden.

(magu)