Vertrag: Düsselwasser gegen heilige Messe
Eine 500 Jahre alte Gruitener Urkunde ist für die Geschichtsforscher ein Schatz: Sie beurkundet einen Knebelvertrag.
Gruiten. Eine 500 Jahre alte Urkunde, ordentlich abgeheftet in einem Ordner. Wo es so etwas gibt? Im Gruitener Kirchenarchiv! Obwohl, man muss wohl eher sagen: Dort wurde das gute Stück vor einige Jahren gefunden. Längst in säurefreiem Karton verpackt, wird das Schriftstück mittlerweile so aufbewahrt, wie es sein sollte. Nur eben etwas verunziert, mit Löchern im DIN-Abstand. „Vermutlich hat einer gedacht: Das Ding liegt hier auf dem Tisch herum und muss weg. Also ab in den Ordner!“, wundert sich Lothar Weller über den Mangel an Geschichtsbewusstsein.
Immerhin kam der erste Locher erst vor etwa 100 Jahren auf den Markt und auch da hätte das kostbare Pergament immerhin schon vier Jahrhunderte auf dem Buckel gehabt. Nun ja, der deutsche Amtsschimmel ist nun mal gründlich und für die Beamtenseele ist ein Ordner ein guter Ort, um Platz auf dem Schreibtisch zu schaffen. Was soll´s — gefreut haben sie sich über ihren Fund dennoch, die Mitstreiter beim Gruitener Geschichtsstammtisch. Schließlich ist es keine Allerweltssache, in einem kleinen Dorf auf ein solch altes Relikt aus längst vergangenen Zeiten zu stoßen. Denn nur so gelingt der Blick in den Rückspiegel der Geschichte, deren Auswirkungen oft bis in die Gegenwart hineinreichen. Aber was stand nun eigentlich drin in dem Schriftstück, von dem auch Lothar Weller sagt: „Es ist nicht leicht zu lesen und zu verstehen.“
Wer den Hobbyhistoriker kennt, der weiß: Ein solcher Satz aus seinem Munde heißt schon etwas. Denn Weller ist so etwas wie ein Experte auf dem Gebiet der Transkription. Seine Leidenschaft gilt seit jeher dem Studium alter Schriften, um so die Dorfgeschichte zu entschlüsseln. Und wenn so jemand sagt, es war nicht leicht, dann täte man nicht gut daran, dass für eine Übertreibung zu halten. Eine kleine Kostprobe gefällig?
Bitte sehr, hier kommt sie: „Ich Lutter van Ellener dont kund Ind bekennen yn dissem offenem breye vor mych ind myne Erven dat ich myt mynen goeden vurgehatten riede ind myt mynen freyen moitwillen Erfflich ougeuen ind erlaissen Hauen….“. Sie haben das Gefühl, es reicht? Dann sind sie vermutlich in bester Gesellschaft inmitten angestrengter und leicht genervter Leser. Deshalb hier eine Kurzversion des Inhalts: Es geht um die Düssel, in deren Wasser längst nicht jeder steigen durfte.
Einfach mit dem Eimer kommen, um mit Düsselwasser die Blumen zu gießen? Ging gar nicht! Schließlich gab es damals nur einen, der das erlauben durfte: Der Lutter von Eller. Und der nahm vor 500 Jahren seine Feder zur Hand, um dem Pastor Jakob von Gruiten auf einem Fetzen Tierhaut zu bescheinigen, dass der sein Anwesen mit Düsselwasser versorgen darf. Natürlich ging das alles nicht vonstatten, ohne dass der Kirchenmann dafür hätte etwas tun müssen: „Als Gegenleistung wurde vereinbart, dass der Pastor eine Messe für Lutter, seine Frau und das ganze Geschlecht derer von Eller liest“, weiß Lothar Weller. Und das sollte nicht etwa nur einmal geschehen, sondern jedes Jahr auf ewige Zeiten. Also quasi für immer. Würde einem heutzutage angesichts eines solch lebenslangen „Knebelvertrages“ wohl Angst und Bange werden, so blieb dem Gruitener Pastor damals vermutlich nichts anderes übrig, als einzuwilligen. Ach ja, an die Nachbarschaft weiterreichen durfte der Kirchenmann das kühle Nass übrigens nicht. Dafür durften sich alle Nachbarn fortan die öffentlichen Lobpreisungen des Lutters von Eller anhören. Der Gruitener Geschichtsstammtisch trifft sich montags von 15 bis 17 Uhr im Predigthaus neben der evangelischen Kirche in der Pastor-Vömel-Straße 4.