Mettmann „EU-Einfluss wird immer stärker“
Kreis Mettmann. · Die Europäische Union ist keineswegs weit weg. Vielmehr streckt sie ihre Finger bis in den Kreis Mettmann aus und beeinflusst die Arbeit der Landwirte vor Ort.
Wenn Martin Dahlmann über Europa redet, dann ist er nicht mehr zu bremsen. Dann fallen schnell Worte wie „Jauche, Gülle, Sickersaft“, „Bürokratie“, „Direktzahlungen“ und „Weltmärkte“. Hört sich ein bisschen so an wie an einer Internationalen Börse, spielt sich aber am Schreibtisch des Landwirtes ab, an dem er immer häufiger sitzen muss. „Heute zum Beispiel fast den ganzen Tag“, sagt er. Die EU ist längst in seinem Home-Office angelangt.
Martin Dahlmann ist Vorsitzender der Kreisbauernschaft Mettmann, Vizepräsident der Landwirtschaftskammer NRW und Landwirt in der – geschätzt – fünften oder sechsten Generation. Sein Betrieb umfasst 50 Hektar Grünland als Futtermittelgrundlage für seine Tiere und gibt ihm, seiner Ehefrau, drei erwachsenen Kindern, 60 Milchkühen, einem Esel und zwei Hunden die Existenzgrundlage.
Dabei steckt ein Stück Europa in jedem Liter seiner Milch. Denn der Einfluss europäischer Regulierung wird immer stärker, sagt der 53-Jährige, der den Betrieb 1990 von seinem Vater übernommen hat. „Neben dem Flugverkehr sind wir der einzige Wirtschaftszweig, der von der EU so durchgeplant ist“, sagt er – und das schon seit den 1960er Jahren.
Der Staatenverbund greift dort durch, wo der Landwirt mehr als nur eine Funktion erfüllt. Landwirte sichern die Produktion und Versorgung mit Lebensmitteln, sie sind dazu angehalten, die Umwelt zu schonen und zugleich die vom Menschen geformte Kulturlandschaft zu erhalten. „Rund 50 Auflagen“, so schätzt Dahlmann, regeln diese Aufgaben. Und „wenn sie Gülle ausbringen, dann haben sie gefühlt die gleichen Auflagen wie zum Betreiben eines Atomkraftwerks“, meint er schmunzelnd.
Das beschert ihm viel Arbeit, vor allem am Schreibtisch – Anträge, Dokumentationen: Europa ist anstrengend für Landwirte. Zugleich profitieren sie vom Staatenverbund, denn die EU-Zahlungen – Subventionen – sind in seiner Branche wichtig: „Ohne sie wären einige Betriebe längst nicht mehr existenzfähig“, weiß Dahlmann. Kritikern dieser Praxis hält er das Gefüge auf den Weltmärkten entgegen, das längst ins Ungleichgewicht geraten ist. Gesetze von Angebot und Nachfrage funktionieren nicht mehr. Denn selbst eine große Nachfrage führe längst nicht mehr zu einem höheren Preis. Nahrungsmittel sind zu einer Handelsware an der Börse geworden, wirtschaftlicher Erfolg ist so nicht mehr berechenbar. Andererseits gilt aber auch: „Bei einer Dürre wie in diesem Sommer wäre vor 80 Jahren noch eine Hungersnot ausgebrochen“, sagt Dahlmann. Was also überwiegt: Die Kritik an oder die Loyalität zu Europa? „Ich bin Europäer und Demokrat“, antwortet Dahlmann nachdrücklich im „Was für eine Frage?“-Tonfall. Klar: Deshalb wird er am 26. Mai bei der Europawahl seine Stimme abgeben. „Ich habe noch keine Wahl ausgelassen“, betont er.
Was aber würde er sich von der EU wünschen? „Europa ist eine gute Sache. Man kann viel regeln, darf’s aber nicht überregeln“, sagt er spontan. Doch angesichts von Brexit, Populismus und Nationalstaaterei sei Europa für ihn nicht wegzudenken: „Wenn es Europa nicht schon gäbe, müsste man es erfinden: Wir leben schon 70 Jahre im Frieden.“