Das Küken unter den Langenfelder Lebensrettern
Nadja van den Boom trägt mit ihren gerade einmal 22 Jahren schon eine Menge Verantwortung in einem Beruf, der keine Fehler verzeiht.
Langenfeld. Mittlerweile reicht das Rattern des großen Segmenttors vor der Fahrzeughalle. Der Torantrieb ist an den Alarmknopf gekoppelt. Er startet Sekundenbruchteile vor dem Gong, bevor das Licht angeht, bevor der Melder zu hören ist. „Dann bin ich schon wach“, sagt Nadja van den Boom (22), die jüngste Rettungsassistentin der Langenfelder Feuerwehr. Im Rahmen einer 24-Stunden-Schicht — von acht bis acht — helfen sie und ihre Kollegen Langenfeldern in allen Notlagen. Da kommt es manchmal auf Sekunden an. Da garantieren Blaulicht und Martinshorn längst nicht immer freie Fahrt. Da fließen Schweiß, Blut und manchmal Urin und Kot. Da muss im allergrößten Stress jeder Handgriff sitzen. „Zimperlich darf man dabei nicht sein“, sagt van den Boom.
Bei einer Wiederbelebung zum Beispiel. Ob dabei Rippen zu Bruch gehen, interessiert erst einmal nicht. Fest wird mit zwei Händen auf den Brustkorb gedrückt. Möglichst rhythmisch — erfahrene Sanitäter empfehlen, „Staying Alive“ von den Bee Gees zu summen. „Highway to Hell“ tut es aber auch: Hauptsache, Atmung und Kreislauf eines Patienten kommen rasch wieder in Gang. „Wenn man dabei jemanden nicht zurückholen kann, ist das kein gutes Gefühl“, sagt van den Boom. Dann hilft es, dass man im Rettungswagen nicht allein ist.
In der zehnten Klasse entstand bei ihr der Wunsch, etwas mit Medizin zu machen. Aber zum Einstieg nicht in einem fernen Hörsaal. Sondern da, wo es drauf ankommt. Nadja van den Boom ist als Rettungsassistentin eine der letzten ihres Berufs. Ein Jahr lang absolvierte sie die Theorie und machte Praktika. Ein weiteres Anerkennungsjahr auf der Langenfelder Wache ist gerade mit einem Abschlussgespräch zu Ende gegangen. Nadja mag an ihrem Beruf das Unvorhersehbare: „In dem einen Moment helfen wir einem Obdachlosen gegen die Unterkühlung, im nächsten Moment stehen wir in einer Villa.“ In beiden Situationen müsse man sich auf seinen Gegenüber einstellen, rasch, aber hochkonzentriert handeln. Eine falsche Spritze zur falschen Zeit? Das darf nicht passieren. Bei schummerigem Licht und zitterndem Patienten einen funktionieren Venenzugang zu legen — das ist manchmal überlebenswichtig.
Mittlerweile tun fünf Frauen Dienst auf der Langenfelder Feuerwache. Wolfram Polheim sagt: „Es bewerben sich kaum Frauen.“ 2015, verriet er im Ordnungsausschuss der Stadt, seien nur zwei Bewerberinnen dabei gewesen — „und die waren ungeeignet“. „Ich will keinen Frauenbonus“, ergänzt Nadja van den Boom. Der schwere Unfall mit fünf Fahrzeugen auf der A3 am Montag vor einer Woche war ihr erster „MANV“ — Massenanfall von Verletzten. „Dabei habe ich zum ersten Mal gesehen, wie bei einem Fahrzeug das gesamte Dach aufgeschnitten wurde. Das ist schon beeindruckend.“ Als nächstes möchte van den Boom die Ausbildung zur Notfallsanitäterin aufstocken. „Das würde dann auch mehr Verantwortung für mich bedeuten“, sagt die 22-Jährige.
Lebt sie bewusster, seit sie diesen Beruf ergriffen hat? Nadja van den Boom denkt einen Moment nach: „Ja, vielleicht. Ich fahre vorsichtiger Auto.“ Wer so viele Motorradunfälle sieht, redet Freunden ins Gewissen, die sich eine Maschine kaufen wollen. Wer gesehen hat, wie eine junge Frau durch einen Schlaganfall von einem Moment auf den anderen ihre Sprache verloren hat, der lernt, das scheinbar Selbstverständliche zu schätzen.