Das Schicksal der Zwangsarbeiter

Die ehemalige Archivleiterin Anne Graw-Lipfert hat das Leben von Menschen wie der Polin Irene Adamcyk dokumentiert.

Langenfeld. Als Irene Adamcyk am 15. April 1941 in Langenfeld eintrifft, ist sie gerade 16 Jahre alt geworden. Auf dem Hof der Familie Gladbach an der Grünewaldstraße werden dringend Arbeitskräfte gebraucht, und die Witwe Gladbach stellt die 16-jährige Polin als Haushaltsgehilfin ein.

Nicht einmal einen Monat später wechselte Irene Adamcyk nach Galkhausen, zur Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt.

Geschichten wie diese findet man tausendfach im Stadtarchiv im Freiherr-vom-Stein-Haus. 1943 hatte Langenfeld 16 000 Einwohner, davon über 2220 Fremdarbeiter.

Wie viele davon wirklich Zwangsarbeiter waren, ist schwer zu sagen, weiß Hella-Sabrina Lange, Leiterin des Kulturellen Forums: „Das ist wirklich ein heikles Thema, denn vor allem die Menschen aus den Niederlanden waren oft freiwillig hier, weil zu Hause die Arbeit knapp war.“

Die Zugänge entwickelten sich nach Kriegslage. 1940 kamen vor allem Polen, 1941 dann Russen. Letztere machten 1942 den größten Anteil der Fremdarbeiter aus. Die zweitgrößte Gruppe waren die Italiener, die 1944 nach dem Sturz Mussolinis nach Deutschland kamen.

Im Gegensatz zu den Arbeitskräften aus Belgien und den Niederlanden könne man bei den Osteuropäern und den Italienern davon ausgehen, dass sie nach Langenfeld verschleppt und zur Arbeit gezwungen wurden.

Das schreibt auch die ehemalige Archivleiterin Anne Graw-Lipfert in ihrer 500-seitigen Dokumentation „Zwangsarbeit in Langenfeld 1933-45“ von 2001. Graw-Lipfert hatte damals im Auftrag von Bürgermeister Magnus Staehler die unsortierte Ausländer-Meldekartei aus den 1930er Jahren ausgewertet und jede Person einzeln aufgeführt. In seitenlangen Tabellen kann man im Stadtarchiv die Herkunft, das Geburtsjahr, die Arbeitgeber und die Unterbringung einsehen.

Irene Adamcyk wohnte zunächst auf dem Hof der Familie Gladbach. Vermutlich im Stall bei den Tieren. Selten waren die Zwangsarbeiter mit im Wohnhaus der Familien untergebracht. Insgesamt 243 Arbeitgeber beschäftigten zu dieser Zeit Fremdarbeiter. Vom Metzger über den Landwirt bis hin zum großen Produktionsbetrieb.

Die Arbeiter, die nicht bei den Arbeitgebern unterkamen, wurden in riesige Massenunterkünfte gesteckt. In den Lagern an der Rheindorferstraße, dem Winkelsweg, der Kaiserstraße oder Bismarckstraße lebten zwischen neun und 284 Personen in einer Baracke. Bei der Unterbringung sei man bemüht gewesen, einzelne Volksgruppen streng zu trennen, schreibt Graw-Lipfert. Gemischtrassiger Geschlechtsverkehr stand unter Todesstrafe.

Nachdem Irene Adamcyk zwei Monate als Hilfsköchin in der Nervenheilanstalt gearbeitet hatte, wird sie im Juli 1941 auf „Anordnung des Arbeitsamtes Opladen“ dem Berghausener Land-wirt Adolf Boes zur Arbeit überstellt.

Ein späteres Foto zeigt die junge Polin aufgedunsen, mit ernstem Gesichtsausdruck und einem Aufnäher mit dem Buchstaben „P“ auf der Brust, der sie ihrer Nationalität zuordnet. Mit 18 Jahren begeht Irene Adamcyk Selbstmord. Am 16. April 1943, einen Tag und zwei Jahre nach ihrer Ankunft in Langenfeld, wirft sie sich an der Bahnstrecke Köln-Düsseldorf bei Kilometer 18,5 vor den Fronturlauber-Zug.