Ein Este ist in Langenfeld gut angekommen

Nachdem Anar Tuuksam (29) als Kind Deutschland besucht hatte, wollte er hier leben.

Foto: Matzerath

Langenfeld. Anar Tuuksam (29) wurde 1988 in Estland geboren, bis 1991 noch Teil der Sowjetunion. In den 90er Jahren nahm sein Vater ihn mit zu einer Geschäftsreise nach Deutschland. „Da will ich leben“, war seitdem dessen Wunsch. 2014, nach einem BWL-Studium in Estland — nebenbei arbeitete er in einer Autovermietung und brachte sich im Selbststudium Graphik-Kenntnisse bei — erfüllte er sich seinen Traum, zusammen mit seiner Freundin Egle.

Mit dem Optimismus junger Menschen buchten die beiden — ohne deutsche Sprachkenntnisse — einen Flug von Tallinn nach Düsseldorf. Die NRW-Landeshauptstadt schien sowohl ein preiswertes Ryanair-Ziel als auch ein Ort mit Arbeitschancen für einen gelernten Grafiker.

Zeitgleich suchten sie per Internet nach einer Wohnung, prüften rund 100 Angebote und wurden zwei Tage vor dem Flug fündig. „Wir wollten niemand auf der Tasche liegen“, war die Maxime, Freundin Egle jobbte im Hotel, Anar begann die Bewerbungstour durch die lokale Grafiker-Szene, zunächst als Praktikant.

Parallel belegten die beiden einen VHS-Kurs „Deutsch für Ausländer“. Das Angebot einer renommierten Düsseldorfer Werbeagentur nahm Tuuksam nicht an, vielmehr reizte ihn das von der Aufgabenvielfalt umfassendere Stellenangebot einer Langenfelder Agentur mit vier Mitarbeitern. „Ich wollte weiter lernen“, so Anar.

Stephanie Feyerabend, eine seit 2016 in Richrath auf der Kaiserstraße mit ihrer Firma ansässige Druck- und Medientechnikerin, war von der Präsentation und der Vita des jungen Esten spontan begeistert. Bis heute lobt sie den „Allrounder, der für neue Herausforderungen aufgeschlossen ist“.

Wie lange Tuuksam in Deutschland bleiben will, lässt er offen. Das vor zwei Jahren bei der inzwischen als Kindergärtnerin arbeitenden zukünftigen Ehefrau Egle aufgetretene Heimweh nach Estland haben sie überwunden, „Gehalt und Klima waren zwei triftige Gründe“, sagt der Jungunternehmer, der nebenher in Estland ein Start-up-Unternehmen gründete.

Bernhard Rappert, ein Kunde Feyerabends, der in Burscheid eine Gesprächsreihe „Europa (er)leben“ angestoßen hat, lud Tuuksam vor einigen Tagen zu einem Vortag über Estland ein, verbunden mit landestypischen Snacks und Getränken. Themen waren neben Informationen über das beeindruckende kleine 1,3 Millionen-Einwohner-Land an der Ostsee die kulturellen Unterschiede und vor allem der digitalisierte Alltag.

Tuuksam präsentierte dabei auch seinen eigenen, scheckkartengroßen „Ausweis“, mit dem er von jedem Ort der Welt seine Steuererklärung abgeben, ein Unternehmen registrieren, den Führerschein beantragen, einen Umzug melden oder seine Krankenakte prüfen kann. „Alles mit ein paar Mausklicks, keine stundenlangen Wartezeiten“, schwärmt er.

In Richrath ist er angekommen. Aufgefallen ist Tuuksam, dass es auch hier eine 5. Jahreszeit gibt. Während im Rheinland die Narren los sind, nutzen die Esten diese Wochen der Schneeschmelze im März/April, um mit Paddelbooten durch die großen Wälder zu fahren.