Hilden: Eine Treppe nur für Notfälle
Im Medi-Tower müssen Patienten mit dem Lift fahren – es sei denn, sie finden die versteckte Klingel. Die Tür zum Treppenhaus ist nämlich verschlossen.
Hilden. "Warum gibt es kein öffentliches Treppenhaus?", fragt Gertrud Kommessien. "Immer wieder muss ich mit dem Aufzug fahren. Und das, obwohl es mir jedes Mal davor graust." Regelmäßig muss die Hildenerin in den Medi-Tower an der Bahnhofsallee, wo ihr Orthopäde seit dem vergangenen Jahr seine Praxis hat.
"Und regelmäßig stehe ich vor dem verschlossenen ,Nottreppenhaus’ und muss dann den Lift nehmen. Das ist kein schönes Gefühl." Vor kurzem, ergänzt sie, sei es einer anderen Patientin sogar noch schlechter gegangen. "Sie stand weinend vor der Aufzugstür."
Aber warum gibt es in dem Ärztehaus, in dem ansonsten alles vom Feinsten ist, kein öffentliches Treppenhaus, das für jeden jederzeit zugänglich ist? Schließlich hat das Projekt vis-à-vis des Bahnhofs neun Millionen Euro gekostet.
"Ein Sicherheitstreppenhaus wie im Medi-Tower ist in Hochhäusern laut Landesbauordnung Pflicht", erläutert der Hildener Architekt Christof Gemeiner, der seinerzeit auch für die Entwürfe des Ärztehauses verantwortlich war. "Ein zusätzliches öffentliches Treppenhaus, wie Sie es aus manchen ,normalen’ Hochhäusern kennen, ist dagegen quasi Luxus. Es dient einzig der Komforterhöhung - und ist nicht vorgeschrieben."
Dass im Medi-Tower alles rechtens ist, bestätigt Gisela Bosbach, die Leiterin des Bauaufsichtsamtes. "Die so genannte Entfluchtung muss gewährleistet sein. Und das ist sie."
Ursprünglich, so Bosbach, sei an der Stelle des Medi-Towers ein Wohnhaus mit zwei Gewerbeeinheiten und einer Tiefgarage geplant gewesen. Dann wurde jedoch umgeplant - mit dem Ärztehaus als Resultat. "Im Dezember 2008 wurde dafür die Genehmigung erteilt."
Dass im Zuge dessen neben der erforderlichen Sicherheitstreppe kein zusätzliches, öffentliches Treppenhaus eingebaut wurde, bringt Gisela Bosbach mit den damit verbunden Baukosten und den Mindermieteinnahmen in Verbindung: "Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit wird bei solchen Projekten natürlich darauf geachtet, dass die zwingend erforderlichen Erschließungsflächen möglichst klein gehalten werden", weiß sie aus Erfahrung.
Da ein solches öffentliches Treppenhaus nicht nur Geld kostet, sondern auch noch Platz braucht, der ansonsten vermietet werden könnte, "ist im Medi-Tower darauf verzichtet worden" - zum Leidwesen von Gertrud Kommessien und den anderen, für die jede Fahrt im Aufzug zur Qual wird.
Allerdings gibt es einen Lichtstreif am Horizont. "Sollten sich die Klagen häufen und auch die Ärzte das bestätigen, wäre es kein Problem, das Nottreppenhaus mit einer Klinke zu versehen, damit es auch von außen zu den Praxiszeiten geöffnet werden kann", sagt Arnd Bogatzki, dessen "Hausbau NRW" den Tower realisierte.
Aktuell kann die Treppe nur nutzen, wer die jeweilige Praxisklingel neben dem Haupteingang betätigt und sich von den Arzthelferinnen aufdrücken lässt. "Zum einen wissen das viele aber nicht", glaubt Gertrud Kommessien. "Auch ich wusste das nicht." Zum anderen hängt für sie die Klingelleiste dafür an der falschen Stelle: statt neben dem Treppenhaus im Haupteingangsbereich um die Ecke. Außerdem, ist sich die Hildenerin sicher, stehen viele Betroffene nicht zu ihren Ängsten. "Sie schämen sich, darum zu bitten, das Treppenhaus nutzen zu dürfen, weil sie Angst vor dem Aufzug haben."